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In den Fängen von Gutachtern und Versicherungen

Verantwortlicher Autor: Gabriele Maria Perklitsch Pubersdorf, 03.08.2019, 21:48 Uhr
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Recht oder Farce?
Recht oder Farce?  Bild: Gabriele Maria Perklitsch

Pubersdorf [ENA] Justitia sollte für 'Gerechtigkeit' stehen. Vor Gericht sollte Fairness und ein prozessualer Ablauf gesichert sein, der die Interessen aller Beteiligter gleichermaßen berücksichtigt. Kritisch zu betrachten sind diesbezüglich Urteile aufgrund von sogenannten Sachverständigen und Gutachtern.

Versicherungen und Gutachter mit viel Einfluss auf Gerichtsurteile? Fehlentwicklungen, systemische Konstruktionsfehler oder einfach nur Pannen? Je tiefer man gräbt, desto tragischer die Geschichten von Unfallopfern und Betroffenen. Versicherungen arbeiten scheinbar auf Zeit und mit Zermürbungstaktiken. Sie arbeiten mit bezahlten Gutachtern eng zusammen. Tritt ein Schaden auf, wird alles so lange gedreht, bis keine Zahlung erfolgen muss. Selbst private Krankenversicherungen weigern sich zu zahlen. Bezahlte Gutachter der Versicherungen bestätigen volle Gesundheit obwohl Betroffener im Krankenstand ist. Zahlungen werden sofort eingestellt. Ohne Gegengutachten und Rechtsanwalt keine Chance auf Rechtsgleichheit und Existenzsicherheit.

Bsp: Schadenregulierung nach Verkehrsunfällen. Der Wettbewerb hat sich verschärft, die Sitten verrohen. Die Zermürbungstaktik einiger Versicherer: “Statt zügig zu regulieren, wird gekürzt, bestritten, abgelehnt, gefeilscht und auf Zeit gespielt”, fasst Michael Bruns, Rechtsredakteur der Zeitschrift “test” (Stiftung Warentest) zusammen. Fakt ist: was im Einzelfall nur kleine Beträge sind, bringt der Versicherungswirtschaft aufgrund ca. 2,3 Millionen Unfälle jährlich auf deutschen Straßen einen Vorteil in Millionenhöhe. Jahr für Jahr werden acht Millionen Deutsche Opfer eines Unglücks. Wer glaubt, abgesichert zu sein, der irrt. Viele Betroffene berichten von einem dreifachem Unglück: Unfall, Betrug durch Versicherung und Gutachter.

Professor Hans-Peter Schwintowski, Jusist, Rechtswissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin, außerdem ehem. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bund der Versicherten und Mitherausgeber der Zeitschrift Verbraucher und Recht (VuR), schätzt, dass bei Berufsunfähigkeitsversicherungen 30 bis 60 Prozent der Fälle nicht anerkannt werden. Doch nur in etwa zwei bis drei Prozent wehrten sich die Versicherten juristisch gegen die Ablehnung, sagt er. Nur wenige hätten eine Rechtsschutzversicherung. Die meisten schreckten vor den hohen Prozesskosten zurück, die schnell sechsstellige Summen erreichen könnten. Viele stürzten in Armut und endeten bei Hartz IV.

Beatrix Hüller hat sechs Jahre lang bei einer Versicherung als Schadensreguliererin gearbeitet, bei einem Unternehmen mit gutem Ruf, das heute zu einem großen Konzern gehört. Die Bearbeitung von Schadensfällen hat die Juristin dort von der Pike auf gelernt. "Ich war im Bereich Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen eingesetzt, ich habe Gerichtsprozesse begleitet, mit den Anwälten und den Ärzten der Versicherung zusammengearbeitet". Sie hat gelernt, alle Register zu ziehen, wenn es darum ging, Ansprüche von Versicherten abzuwehren. Keine Schikane war ihr fremd. Sie musste abgebrüht sein, so sieht sie sich im Rückblick selber. Heute arbeitet sie als Fachanwältin für Versicherungsrecht ausschließlich für Versicherungsopfer.

Bei Unfallversicherungen sei es die Regel, dass Ansprüche abgeschmettert würden. Das sind Massenversicherungen. Da werden Ablehnungen nicht mehr individuell geschrieben. Es gibt Textbausteine, ungefähr 30 verschiedene, die miteinander kombinierbar sind. Die Unbeholfenheit vieler Versicherter, die ihr Anliegen schlecht ausdrücken könnten, werde gnadenlos ausgenutzt. Sachbearbeitern gehe es nicht darum, einem Verunglückten möglichst schnell zu helfen, sondern allein um die Frage: "Wie krieg ich das Ding vom Tisch?" – und zwar ohne dass das Unternehmen zahlen muss.

Auch Bernd Matthias Höke, Jurist, hat jahrelang für eine Versicherung gearbeitet. Er war Schadenschef, Vorstand einer Versicherung und leitete die Kraftfahrt-Schadenkommission im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, und er war Vizepräsident des Instituts für Europäisches Verkehrsrecht. Ein einflussreicher Lobbyist, der in der Branche geachtet war und der vor einigen Jahren die Seiten gewechselt hat. "Ich habe es mit meinen Überzeugungen nicht mehr vereinbaren können, wie Versicherungen mit Unfallopfern umgehen", erklärt er seinen radikalen Schritt. Heute leitet er eine Kanzlei und schult Anwälte von Versicherungsopfern. Es geht um Waffengleichheit, denn »die Profis sitzen immer aufseiten der Versicherungen«.

In Summe häufen sich Beschwerden zu Gerichtsverfahren. Nämlich dass unwissenschaftliche oder parteiische Gutachten durch Schlüsselstellung im Prozess die Rechtsstaatlichkeit aushebeln. Verlassen sich Gerichte zu unkritisch auf Gutachten? Problematisch scheint der weite Handlungsspielraum für Gutachten durch fehlende gesetzliche Regeln. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, nur hat man auf hoher See wesentlich mehr Chancen!, besagt ein alter Juristenspruch. Recht oder Farce? Viele haben den Glauben an die Justizia bereits verloren. Das soll nicht heißen, dass es in Deutschland und Österreich keine Rechtsstaatlichkeit gibt, aber dieser Bereich schreit nach Verbesserungen. Menschenschicksale und Existenzen hängen davon ab.

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