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Freedom of Movement

Verantwortlicher Autor: Theo Goumas Bethlehem, 27.03.2023, 21:20 Uhr
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Bethlehem [ENA] Läufe, bzw. Marathons gibt es wie Sand am Meer, aber wenige haben eine Botschaft. Manche sind geschichtsträchtig (Athen, etc.), andere bieten eine schöne Strecke (Neapel, etc.), manche sind neutral bis langweilig (Helsinki, etc.) und so mancher Marathon kommt mit einer politischen Botschaft daher. Der in Bethlehem ist so einer. Außerdem findet er auch an einen historischen und religiösen Ort statt.

Wer laufbegeistert ist und nach etwas außergewöhnlichem sucht, der sollte sich den Marathon in Bethlehem mal anschauen (https://www.palestinemarathon.org). Dieser Marathon findet alljährlich im ersten Märzdrittel statt und kommt mit einer politischen Botschaft und einer sehr schönen, aber anspruchsvollen Strecke, die für Anfänger nicht geeignet ist. Und der Lauf findet an einem Freitag statt, was für Westler eher ungewöhnlich ist.

Der Marathon in Bethlehem zielt darauf ab, eine Laufkultur in Palästina zu schaffen. Er regt die Palästinenser dazu an, sich auf eine neue, angenehme Art zu bewegen, bietet die Möglichkeit zum kulturellen Austausch und trägt dazu bei, Beziehungen zwischen Palästinensern und Menschen aus der ganzen Welt aufzubauen, die auf der gemeinsamen Liebe zum Laufen basieren. Die Veranstaltung zeigt der internationalen Gemeinschaft eine andere Seite der Palästinenser; sie schafft ein internationales Bewusstsein für die palästinensische Geschichte, erhöht das Wissen über das palästinensische Leben, die Kultur und die Gastfreundschaft und fördert das Verständnis zwischen den Kulturen.

Darüber hinaus schafft der jährliche Marathon einen Mehrwert für die palästinensische Wirtschaft und den Tourismussektor. Der Marathon bietet eine Plattform für kulturellen Austausch und Entdeckungen. Er zieht Tausende von palästinensischen und internationalen Teilnehmern an und lenkt die Aufmerksamkeit auf eines der grundlegenden Menschenrechte, das im Staat Palästina bedroht ist: die Freizügigkeit, bzw. Bewegungsfreiheit. Denn was viele nicht wissen, ist, dass die Palästinenser kaum Bewegungsfreiheit haben und auch innerhalb des Westjordanlandes ist es aufgrund vieler Checkpoints schwer sich zu bewegen. Deswegen auch das Motto des Laufs: Freedom of Movement.

Im Jahr 2017 wurde der Marathon vom Internationalen Leichtathletikverband (IAAF) als internationaler Marathon anerkannt und 2018 von der Association for International Marathons and Distance Races (AIMS). Seine Strecke erstreckt sich über 42,195 Kilometer und bietet den Läufern verschiedene Perspektiven auf den palästinensischen Alltag. Die Strecke umfasst einige steile Hügel und Abschnitte, die ein schnelles, aber auch langsames Laufen, gerade bei den langen und steilen Steigungen, ermöglichen und gleichzeitig durch eine einzigartige Landschaft führen, wie sie bei keinem anderen Marathon zu finden ist.

Die Strecke beginnt an der Geburtskirche im Zentrum der Altstadt von Bethlehem und führt die Läufer durch die Stadt, zwei Flüchtlingslager (Aida und Dheisheh) und entlang der Apartheidmauer. Da die Strecke nicht die geforderten 42 Kilometer umfasst, müssen die Läufer zwei Schleifen laufen, um einen vollen Marathon nach internationalen Standards zu absolvieren. Der Halbmarathon führt einmal quer durch die Stadt und darüberhinaus gibt es mit 5 und 10km zwei kürzere Strecken. Der 5km Lauf ist der Familienlauf, wo sehr viele Kinder mitlaufen und erste Erfahrungen sammeln.

Seit der 1. Auflage 2013, an der ca. 500 Läufer aus 21 Ländern teilnahmen, hat sich der Marathon zu einem Mittel entwickelt, um das Recht der Palästinenser auf Bewegungsfreiheit einzufordern und das internationale Bewusstsein für das kulturelle Erbe Palästinas und die lebendige und politische Realität Palästinas zu schärfen. Dies ist insofern von Bedeutung, als der Lauf an der Geburtskirche inmitten islamischer und christlicher Heiligtümer beginnt und die Läufer entlang der Mauer und durch die beiden Flüchtlingslager Aida und Dheisheh führt, die den Läufern einen Überblick über das tägliche Leben der Palästinenser in den Flüchtlingslagern bieten, bevor sie den israelischen Militärkontrollpunkt An-Nashnash am Südeingang Bethlehems erreichen.

Interessant ist die Halbmarathonstrecke, wenn man etwas sehen und nicht einfach durchrennen will. Außer den vielen schönen Gebäuden und Straßen, an denen man durch- und entlangläuft, führt die Strecke quer durchs Aida Flüchtlingscamp. Das Lager Aida wurde 1950 auf einem Grundstück errichtet, das das UNRWA von der jordanischen Regierung gepachtet hat. Das Lager liegt zwischen den Gemeinden Bethlehem, Beit Jala und Jerusalem. Es ist teilweise von der Mauer umgeben und liegt in der Nähe von Har Homa und Gilo, zwei großen israelischen Siedlungen, die nach internationalem Recht illegal sind.

Diese Faktoren sowie die ständige Militärpräsenz und die Nähe des Lagers zum Hauptkontrollpunkt zwischen Jerusalem und Bethlehem haben es anfällig für Schutzprobleme gemacht. Dazu gehören Übergriffe des israelischen Militärs, Zusammenstöße zwischen Lagerbewohnern, von denen viele Kinder sind, und eine zunehmende Zahl von Verletzungen infolge übermäßiger Gewalt durchs Militär. Nach den Osloer Verträgen fiel der größte Teil Aidas unter palästinensische Kontrolle, während einige Randgebiete (z. B. die entlang der Mauer verlaufende Hauptstraße) unter israelische Kontrolle fielen. Infolge der Sperranlage und des damit verbundenen Regimes haben die Bewohner nun nur begrenzten Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten in Israel und Ostjerusalem.

Die Route führt durch ein weiteres Flüchtlingslager, das Dheisheh Camp. Das Lager wurde 1949 errichtet und befindet sich an der Hauptstraße in Bethlehem. Es wurde für 3.000 Flüchtlinge gebaut und es verfügt über eine sehr aktive Zivilgesellschaft mit vielen gemeindebasierten Organisationen. Während der ersten Intifada umzäunte das israelische Militär das gesamte Lager und ließ ein kleines Drehkreuz als einzigen Eingang stehen, wodurch das Lager von der Hauptstraße zwischen Bethlehem und Hebron abgeschnitten wurde. Der Zaun wurde inzwischen entfernt, und das Drehkreuz ist nicht mehr in Betrieb, obwohl es am Eingang des Lagers immer noch zu sehen ist.

Während der zweiten Intifada führten die israelischen Streitkräfte Überfälle, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch und verhängten über das Lager eine lange Ausgangssperre. Viele der älteren männlichen Bewohner von Dheisheh wurden während der ersten und zweiten Intifada verhaftet. Obwohl Dheisheh vollständig unter palästinensischer Kontrolle steht (Gebiet A), führt das israelische Militär immer noch häufige Überfälle und Verhaftungen innerhalb des Lagers durch.

Ein weiteres Highlight der Route ist Banksys Walled Off Hotel direkt an der Mauer (https://walledoffhotel.com). Das Hotel wurde im März 2017 eröffnet, hat 9 Zimmer, eine Bar, ein Museum und eine Galerie. Von der Präsidentensuite hat man den „hässlichsten Ausblick der Welt“, wie das Management betont. Im Museum kann man sehr viel über Palästina und dem Konflikt erfahren und in der Galerie werden Bilder örtlicher Künstler ausgestellt, die man auch kaufen kann. Auch Bücher örtlicher Schriftsteller gibt es zu kaufen. Die Bar ist groß und sehr geschmackvoll eingerichtet und wie auch auf den Zimmern, hängen überall Bilder von Banksy. Eintritt, wenn man kein Gast ist, beträgt 20 Schekel, ca. 5 Euro.

Heuer sind über 10.000 Athleten an den Start gegangen. Etwa 1800 waren Ausländer aus 90 verschiedenen Nationen und zum ersten Mal sind mehr Frauen (52%) als Männer gelaufen. In diesem Jahr hat der Marathon eine breite Beteiligung verschiedener internationaler und lokaler Institutionen und Verbände sowie verschiedener Vertreter diplomatischer Vertretungen erfahren, was die Bedeutung dieser Veranstaltung auf sportlicher, kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene widerspiegelt. Wie in den vergangenen Jahren wurden auch heuer entlang der Rennstrecke mehrere kulturelle und künstlerische Veranstaltungen von den Sponsoren organisiert.

Aufgrund der schwierigen Lage gibt es beim Marathon in Bethlehem keine Expo und somit keine Gelegenheit etwas auf dem letzten Drücker zu kaufen. Jedoch wird man in den zahlreichen Sportgeschäften vor Ort fündig. Und noch etwas ist bei diesem Marathon anders: Die Medaille ist nicht aus Metal, sondern aus Olivenholz (links bitte aufs Bild klicken), denn der Olivenbaum ist das Nationalsymbol Palästinas. Der Baum symbolisiert die Standhaftigkeit des Volkes gegenüber dem Besatzer, der versucht den Bestand zu minimieren und somit symbolisch das Volk auszulöschen. Vielleicht sehen wir uns nächstes Jahr beim Marathon in Bethlehem.

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