
Ein Lehrer in Saudi
Riad [ENA] Ein Lehrer beschließt, das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Europa für eine Zeitlang den Rücken zu kehren und sein Glück in Saudi-Arabien zu suchen. Er bewirbt sich als Englischlehrer und nach vielen Absagen, kommt doch noch eine Zusage, allerdings mit Vitamin B. Das ist der Beginn einer wunderbaren Reise in ein verschlossenes Land, das kaum jemand kennt. Eine wahre Geschichte in Teilen erzählt. Teil 4 der Saga.
Irgendwann mache ich die Augen auf, weil draußen auf dem Gang einer eine Tür ins Schloss haut und sie einen sehr großen Lärm macht. Da es im Zimmer stockdunkel ist, weiß ich nicht ob es Tag oder Nacht ist. Ich greife nach meinem iPad um nach der Zeit zu schauen. Es ist schon Vormittag, aber ich fühle mich immer noch müde. Die Bilder der Reise und des ersten Tages in Saudi-Arabien schwirren vor meinem geistigen Auge und ich schlafe wieder ein. Anes meinte, dass es am Freitag sinnlos ist früh raus zu fahren, weil vor 16 Uhr alles dicht ist. Freitag ist in der Islamischen Welt, was der Sonntag für uns Christen ist, der Tag des Betens.
An jedem anderen Tag, aber auch am Freitag wird fünf Mal am Tag gebetet. Dafür geht man jedes Mal in eine nahe Moschee für ca. eine Viertelstunde. Am Freitag jedoch, verbringt man den größten Teil des Vormittags in der Moschee und kommt so gegen 14 Uhr raus. Dann geht’s nach Hause zum Essen und erst danach beginnt das Leben bis spät in die Nacht. Bis vor kurzem war das Wochenende in der Islamischen Welt Donnerstag und Freitag, wurde aber auf Freitag und Samstag verschoben um einen Tag mehr zur Verfügung zu haben um mit der westlichen Welt Handel zu betreiben und um Geldtransfers schneller zu machen. Die Läden jedoch sind in Saudi-Arabien jeden Tag geöffnet, auch am Freitag, was technisch ein Sonntag ist.
Bei uns gehen die Gewerkschaften deswegen auf die Barrikaden. Die Ladenöffnungszeiten sind hier extrem lang. Von irgendwann in der Früh, kommt auf die Art des Geschäfts an, bis um 23 Uhr. Geschlossen wird nur zur Betenszeit. Banken öffnen sogar auch am Samstag. Deswegen mache ich mir keine Sorgen und schlafe selig weiter. Irgendwann fängt auch der Muezzin an die Leute zum Gebet, also zur Moschee zu rufen und eine Viertelstunde später hört man die Stimme des Imam. Vor jeder Betenszeit ruft der Muezzin die Gläubigen vom Minarett zu und ca. eine Viertelstunde später fängt der Imam mit seiner Predigt an. Dauert meistens ca. 15 Minuten. Außer freitags, da dauert es Stunden.
Jede Moschee ist mit einer Anlage ausgestattet auf die Musikgruppen neidisch werden könnten. So kriegt die nähere Umgebung die Predigt mit. Als die berauschende Predigt zu ende geht, wache ich auf. Taste nach dem Lichtschalter überm Bett und stehe auf. Erst jetzt bemerke ich den Aufkleber über dem Fernseher. Irgendwann habe ich mal gelesen, dass die Muslime in Richtung Mekka beten und damit die Gläubigen wissen wo Mekka sich befindet, gibt es solche Aufkleber. Bei BMW, bei einer Werksführung und bei Siemens wo ich mal gearbeitet habe, habe ich ähnliche Aufkleber gesehen.
Ich gehe nach unten zum Frühstücken und danach vor die Tür. Der Empfangsherr folgt mir und versucht sein Englisch aufzufrischen. Wir stellen uns gegenseitig Fragen während er eine raucht. Gegenüber dasselbe Bild wie am Tag davor. Leute die joggen, Leute die Spazierengehen, darunter viele Frauen. Die Luft ist klar und erfrischend kühl und trocken. Warum ist sie so trocken, frage ich? Durch die Wüste gibt es so gut wie keine Luftfeuchtigkeit, sagt er. Ich merke es an meiner Hand, an der die Haut anfängt rissig zu werden. Der Empfangsherr zaubert eine Handcreme aus seiner Tasche und reicht sie mir. Ich frage nach einer Bank oder Geldautomaten, aber die Gegend hier ist noch neu und es gibt weder das eine, noch das andere. Mist!
Ich muss Anes später sagen, dass ich Geld brauche. Ich gehe in den Straßen des Wohngebietes ein wenig spazieren und merke, dass a) die Straßen sehr breit sind, b) es keine Bürgersteige gibt, c) die Häuser meistens nicht über den ersten Stock hinaus-, dafür ziemlich in die Breite gehen und rundherum eine Mauer haben und d) vor der Tür lauter Luxusautos parken, viele von denen sind nicht mal verschlossen. Außerdem habe ich bemerkt, dass die Fenster klein sind und es keine Balkone gibt. Als ich mich wieder verlaufe treffe ich auf dieselben Kinder wie am Tag davor. „Yunani!“ rufen die. Gott sei dank! Ich zücke wieder mit der Visitenkarte des Hotels und sie bringen mich wieder zurück.
Kurze Zeit später ist Anes da. Auf dem Beifahrersitz sitzt seine Frau – voll verschleiert. Was mich wundert. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sie mitbringt und habe nicht erwartet, dass sie voll verschleiert wäre. Wir fahren zum Kingdom Tower, einen überdimensionalen Flaschenöffner, wahrscheinlich der berühmteste der Welt. Anes möchte uns den Sonnenuntergang von oben zeigen. Leider wird es nicht dazu kommen. Wir sind ein wenig spät dran, kommen in einem Stau rein, finden dann im Parkhaus (parken umsonst!) schwer einen Parkplatz und als wir endlich im Gebäude, im Einkaufszentrum sind, ist Betenszeit.
Wir schlendern herum, um die Zeit totzuschlagen. Ich schaue mich ganz genau um und löchere Anes mit Fragen. Er antwortet ganz brav. Wieder stimmt vieles nicht, was ich vorher gelesen habe. Eines davon ist, dass wenn man sich in einem Laden befindet, man einfach nicht bedient wird, weil alle auf dem Boden fallen um zu beten. Schwachsinn! Wenn der Muezzin ruft, werden alle Leute, die an den Kassen stehen schnell bedient und der Rest wird gebeten das Geschäft zu verlassen. Da man aber weiß, wann Betenszeit ist, wartet man nicht bis der Muezzin ruft, sondern macht eine Durchsage und bittet die Menschen sich zu den Kassen oder zum Ausgang zu begeben. Dann wird der Laden abgesperrt.
Bei Zuwiderhandlung gibt es Geldstrafen und eventuell Lizenzentzug. Man kann aber währenddessen seinen Einkauf fortführen, denn man ist nicht verpflichtet Beten zu gehen. Zumindest in Riad werden die Türen abgesperrt, das Personal verzieht sich in einen Hinterraum und die Menschen gehen entweder zum Beten in den Gebetsraum oder wohin sie mögen oder füllen ihren Einkaufswagen und stellen sich vor den Kassen. Das Witzige daran ist, man weiß nicht welche Kasse nach der Betenszeit aufmachen wird. Obwohl das Beten gesetzlich vorgeschrieben ist, halten sich nicht alle daran. Das sehen wir auch im Einkaufszentrum. Sehr viele Menschen warten vor verschlossenen Türen darauf, dass die Geschäfte wieder aufmachen.
Wer aber beten will, kann eine der sehr vielen Moscheen besuchen, Alle zwei Blocks oder so gibt es eine, kleinere schlichte, sowie größere schicke. Oder man besucht einen Gebetsraum im Einkaufszentrum. Dass ausländische Frauen nicht verpflichtet sind Kopftuch zu tragen und ihr Gesicht zu verbergen habe ich gelesen, hier sehe ich es Live und in Farbe. Es gibt viele Ausländerinnen die zwar mit Abaya, aber ohne Kopfverdeckung herumlaufen. Die fallen sofort auf. Auch ich falle auf, nicht weil ich kein traditionelles Gewand anhabe, sondern weil ich größer als die Araber bin, hellhäutig und blond. Irgendwie komme ich mir vor wie Sting neben Cheb Mami im Video ‚Desert Rose’.
Dass die Araber im Gewand rumlaufen stimmt auch nicht ganz. Sehr viele kleiden sich normal an. Obwohl ausländische Frauen eine Abaya tragen müssen, müssen ausländische Männer kein Gewand tragen. Die Araber sind der Meinung, dass es bei Ausländern lächerlich ausschaut. Wieder eine Gemeinsamkeit zu Bayern. „Wieso ist aber deine Frau voll verschleiert?“ frage ich. „Um nicht aufzufallen und angestarrt zu werden“ sagt Anes. Recht hat er. Der Blick, auch meiner, fällt sofort auf die Ausländerinnen, die Araberinnen nimmt man kaum war. Auch deswegen, weil sie schwarz gekleidet sind. Als die Betenszeit um ist reihen wir uns in eine lange Schlange ein um den Fahrstuhl nach oben zu nehmen.
Im Fahrstuhl gehen die Frauen nach hinten, Männer stehen vorne. Irgendwo in der Mitte müssen wir den Fahrstuhl wechseln. Dort gibt es ein nobles Restaurant mit herrlichem Blick über die Stadt, das wir einmal durchqueren. Es gibt auch eine sehr kleine Moschee die wir besuchen und ich darf sogar Bilder machen. Außerdem gibt es eine Bildergalerie mit Fotos vom Kingdom Tower. Dann nehmen wir den zweiten Fahrstuhl und kommen auf 300 Meter über dem Boden raus. Vor uns spannt sich die Brücke. Dort zückt jeder seine Kamera oder Handy und fotografiert auf Teufel komm raus. Wie war das noch mal mit dem Fotografierverbot? Scheint nicht ganz zu gelten. Die Aussicht ist phänomenal! Ganz Riad liegt uns zu Füßen.
Auf dem Dach eines Hotels unter uns gibt es eine Tennisanlage und daneben ein Fußballfeld. Spitze! Den Sonnenuntergang haben wir leider verpasst, aber die Aussicht entschädigt für die Strapazen. Als der Magen anfängt zu knurren fährt uns Anes in ein traditionell Arabisches Restaurant. Das Gebäude sieht von draußen sehr schick aus, und von drinnen umso schicker. Es ist ein Traum von 1001 Nacht! Da das Lokal voll ist, müssen wir warten. Es gibt zwei Möglichkeiten: vor uns gibt es auf dem Boden abgetrennte Bereiche in denen man sich setzen kann, oder links neben dem Eingang eine Kaffee- und Teestube. Wir entscheiden uns für Letzteres. Dort setzen wir uns auf dem Boden und bestellen einen Tee und einen Kaffee nach dem anderen.
Kostet nix, ist beides sehr lecker und dazu gibt es Feigen. Irgendwann werden wir gerufen und werden zu einem Gang geführt in dem es Zimmer aus Vorhängen gibt. Der Ober schiebt einen Vorhang zur Seite, wir ziehen die Schuhe aus und lassen sie draußen und machen es uns auf dem Boden gemütlich. Es gibt viele Kissen zum anlehnen. Als das Essen kommt und der Ober alles auf dem Boden ausgebreitet und den Vorhang hinter sich zugemacht hat, nimmt Anes’ Frau den Schleier runter und es kommt ein sehr süßes Gesicht zum Vorschein. Hier fällt mir wieder auf wie groß die Portionen doch sind. Und man isst wieder mit den Händen. Weil es ein wenig frisch ist, bringt uns der Ober eine tragbare Gasheizung.
Bevor er aber reinkommt, macht er sich bemerkbar und Anes’ Frau verschleiert wieder ihr Gesicht. Das Restaurant hat einen Innenhof, außer dem Erdgeschoß, noch einen ersten Stock, einen Kinderbereich mit Spielzeug, verschiedene traditionelle Gegenstände und viele Pflanzen. Auf dem Klo treffe ich wieder auf das ‚sanfte arabische Klopapier’ wie einer meiner besten Freunde es nennt. Mit dem Düsenstrahl muss ich mich noch anfreunden.
Als wir fertig mit dem Essen sind und uns auf dem Weg machen wollen, kommt der Kellner wieder mit einem Behälter in der Hand aus dem Rauch steigt. Man muss den Rauch der herrlich duftet zu sich auf die Kleidung wedeln. Soll Glück bringen und die bösen Geister vertreiben. Anes fährt uns noch durch die Nacht und wir lauschen arabischer Musik im Radio während wir durchs Zentrum fahren und später ins Hotel. Mit all diesen Düften, Aromen, Geschmäckern, Bildern und dem Rauch aus dem Behälter in der Nase entschwebe ich ins Reich des Morpheus. Fortsetzung folgt.