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Andreas Zumach im Gespräch zum Ukraine-Krieg

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman Darmstadt/West Virginia, 27.06.2022, 19:31 Uhr
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Das Motto
Das Motto "Frieden schaffen ohne Waffen!" als aufgeblasene Darstellung  Bild: Sergej Perelman

Darmstadt/West Virginia [ENA] Andreas Zumach, Journalist und Experte für internationale Beziehungen, vertritt in seinem Zoomvortrag vom 12. Mai 2022 beachtenswerte Standpunkte zu Themen wie Zeitenwende, Waffenlieferungen in die Ukraine, Auswege aus dem Krieg, die Interessen von USA und EU, eine europäische Friedensordnung u.a.

"Der Ukrainekrieg - Eine Zeitenwende wohin?" lautet der Titel des Online-Vortrages von Andreas Zumach, der viele Jahre als UNO-Korrespondent in Genf tätig war, veranstaltet vom Evangelischen Dekanat Darmstadt und dem Darmstädter Friedensbündnis. Der Vortrag ist in 10 Themen gegliedert: 1) Zeitenwende, 2) Pazifismus/Frieden schaffen ohne Waffen/Gilt angeblich nicht mehr., 3) Hätten Atomwaffen der Ukraine geholfen?, 4) Sind Deutschland und die anderen NATO-Staaten inzwischen kriegsbeteiligt?, 5) Waffenlieferungen, 6) Gibt es unterschiedliche Interessen der USA und der europäischen Staaten?, 7) Chancen für eine Verhandlungslösung?, 8) Europäische Friedensordnung, 9) Aufrüstung alternativlos?, 10) 10. Was tun?

Den Begriff 'Zeitenwende' hält Zumach für ideologisch aufgeladen. Er verschleiert die Mitschuld des Westens an dem Krieg - die aus Fehlern und falschen Weichenstellungen resultiert -, macht sie vergessen. Andreas Zumach fand die Sondersitzungsitzung des Bundestages am 27.2.2022 "gespenstisch, weil aussschließlich und lediglich 3 Abgeordnete der AFD in ihren Reden daran erinnert haben, dass wir 1990/91 in einer historisch neuen Situation waren, wo es die Option gegeben hätte für das gemeinsame Haus Europa, was Gorbatschow vorgeschlagen hatte für ein kollektives Sicherheitssystem namens KSZE, also heute OSZE, mit Russland dabei - das ist ein ganz grundsätzlicher Unterschied zu einem Militärbündnis wie der NATO".

Der zweite Grund, warum der erfahrene Journalist den Begriff ablehnt, ist eine Parallele zu 9/11, "als der damalige Präsident Busch sagte: Das ist eine Zeitenwende, "und jetzt gilt vieles, was bis jetzt gültig war, darunter viele Völkerrechtsnormen, nicht mehr", erläutert Zumach. Danach begann der US-angeführte Krieg gegen den Terror, der, bemisst man ihn an seinen Zielen, erfolglos blieb und Millionen von Opfern in der Zivilbevölkerung zur Folge hatte. Zumach wirft Scholz zwar nicht die Planung eines heißen Krieges vor, wie es nach 9/11 zur gängigen Praxis der USA wurde, aber das 100 Mrd.-Aufrüstungspaket und die Erhöhung des jährlichen Militäretats auf 2% des BIP seien eine "Wende rückwärts in die Hochzeit des Kalten Krieges".

Darüber hinaus führt Andreas Zumach eine Beurteilung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages an, wonach Deutschland bereits Kriegspartei in diesem Krieg sei. "Ich kann nur sagen, der Pazifismus kann gar nicht am Ende sein, weil er bis heute noch niemals ernsthaft versucht worden ist. Was gescheitert ist, wenn ich mich jetzt mal nur auf die Zeit seit dem Ende des Kalten Krieges beziehe, sind die militärischen Einsätze wo auch immer. Sie sind restlos gescheitert gemessen an den offiziell erklärten Zielen. Pazifistische Politik hat es noch nie gegeben", kommentiert Zumach die Behauptung, der Pazifismus sei am Ende, 'Frieden schaffen ohne Waffen' sei widerlegt.

Über mögliche Kriegsziele des Westens äußert sich der ehemalige UN-Korrespondent wie folgt: "Wenn es in Washington heißt seit zwei Wochen, es geht darum, Russland in die Knie zu zwingen. Bei uns hat sich das die Außenministerin Baerbock zu eigen gemacht. Sie hat die Formulierung gebraucht: 'Es geht darum, Russland völlig zu ruinieren.' Das ist zumindest rhetorisch mehr, als würde man nur sagen: Wir wollen erreichen, dass Russland den Krieg einstellt und seine Invasionstruppen restlos zurückzieht. Was wir verbal hören aus Washington, aber auch von einigen Akteuren aus Berlin, nicht vom Kanzler, aber von Frau Barbock, geht weit darüber hinaus." Das präge auch die Wahrnehmung in Kiew und könnte ernsthafte Verhandlungen verhindern, so Zumach.

Bei der Ausleuchtung der Hintergründe der US-Interessen an diesem Krieg verweist Zumach auf eine seit Jahrzehnten die US-Außenpolitik prägende Doktrin, ein gedeihliches Zusammenleben und die Kooperation zwischen EU und Russland zu verhindern, um einer "veritablen Konkurrenz" zum eigenen Nachteil zu entgehen. Wenn man die Synthese zwischen Industrie (EU) und Bodenschätze (Russland) nicht wolle, biete sich Russland an, die Rolle des Störfaktors zu spielen, analysiert Zumach die geopolitischen US-Interessen in Europa. Denn nur die Existenz eines Feindes, in dem Fall Russland, legitimiert das Vorhandensein der NATO, damit auch die Rolle der USA in der NATO als Führungsmacht, als atomare Schutzmacht. Dies gewährleiste den US-Einfluss auf die EU.

Bei der Frage nach Waffenlieferungen in die Ukraine stellt Andreas Zumach einen Bezug zum offenen Brief an Bundeskanzler Scholz von den Unterzeichnern um Alice Schwarzer von EMMA her. Er hält es für legitim und ein kluges Argument, dass auch diejenigen, die Waffen liefern, dafür verantwortlich sind sowohl der Verteidigung der territorialen Integrität als auch der Sorgepflicht für das ukrainische Volk beizu-kommen. Was würde es bringen, wenn am Ende das Territorium verteidigt wäre, aber um den Preis von Millionen Toten und lauter verwüsteter Städte? Ein Nein zu Waffen sei deshalb legitim. Dies müsse vor allem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Militärexperten die Schlagkraft der russischen Streitkräfte als sehr überlegen beurteilen.

Die Gedanken des Experten für Sicherheitsfragen zu einer europäischen Friedensordnung gehen in Richtung "Rüstungskontrolle und Abrüstung auf allen Ebenen: nuklear, konventionell, bei den Truppenstärken, bei den Manövern". Zumach mahnt den Westen, wenn dieser in solche Verhandlungen reingehe nur mit der Haltung, "nur die russischen militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten zu begrenzen, zu reduzieren, die eigenen westlichen für sakrosankt zu erklären, dann sind diese Verhandlungen schon heute zum Scheitern verurteilt". Hier müsse der Westen seine Hybris, der Sieger im Kalten Krieg gewesen zu sein, ablegen, damit solche Verhandlungen zum Erfolg kämen, unterstreicht Zumach.

Auch plädiert Zumach für die Berücksichtigung legitimer russischer Wirtschaftsinteressen, wenn es um die Integration der Ukraine in die EU und ihren Wirtschaftsraum gehe. Denn es sei fatal gewesen, die Ukraine - ein bis dato immer mit Russland wirtschaftlich verbundenes Land - 2010/2013 vor die Wahl gestellt zu haben: entweder Partnerschaft mit der EU oder mit Russland. "Frank Walter Steinmeier hat 2016, damals noch als Außenminister mal in einem Interview gesagt: Da müssten sich doch jetzt die Wirtschaftsexperten der EU, Russlands und der Ukraine an einen runden Tisch setzen und miteinander vereinbaren, wie man die bestehende russisch-ukrainische Zollunion mit einer künftigen ukr.-europäischen Zollunion kompatibel macht", wünscht er sich.

Andreas Zumach betont an mehrerern Stellen seines Vortrages, dass trotz der groben Fehler des Westens im Umgang mit Russland seit dem Zusammenbruch der UdSSR diese nicht zur Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges genutzt werden dürfen. Das ganze Interview ist mitsamt Diskussion hier abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=9DSDqTPERIU

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