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Misteln – Heilmittel, Glücksbringer und Giftpflanze

Verantwortlicher Autor: Herbert Hopfgartner Salzburg, 07.12.2024, 15:25 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 10270x gelesen

Salzburg [ENA] Zu Weihnachten bringen sie angeblich Glück. Suchende Singles sehen in den Misteln sogar ein magisches Liebesorakel. Während man früher glaubte, dass sie böse Geister und Unheil von Haus und Hof fernhielten, pflegen Schamanen und Alchemisten noch immer ein diskretes Naheverhältnis zu der Pflanze. Die mystische oder therapeutische Bedeutung der Misteln liegt freilich noch großteils im Dunklen.

Der Druide Miraculix klettert mit seiner goldenen Sichel zu bestimmten Zeiten auf Bäume, um Misteln für seinen Zaubertrank zu ernten. Dieser Trank verleiht, wie wir wissen, nicht nur Obelix übermenschliche Kräfte… Bei den Kelten war es sogar wichtig, dass die Zweige mit der linken Hand gefangen wurden. Der Brauch, dass Liebende sich unter Mistelzweigen küssen, hat auch Jahrhunderte überdauert. Der Mann darf dabei die Frau seines Herzens so oft küssen, wie er Beeren vom Strauch pflückt. Sind Misteln tatsächlich Wunderpflanzen?

Aus der Antike hat sich die Legende erhalten, wonach Äneas, Sohn von Anchises und Aphrodite, außerdem Stammvater der Römer, in den Hades reist, um sich von seinem verstorbenen Vater die Zukunft weissagen zu lassen. Mit Hilfe eines magischen Mistelzweiges ist er imstande, in die lebendige Welt zurückzukehren. Schon allein deshalb und auch aufgrund der Tatsache, dass die Misteln im bittersten Winter ihre grüne Farbe nicht verlieren und sogar blühen, symbolisiert die Pflanze das (Über-)Leben bzw. den Triumph über den Tod.

In der Edda wird berichtet, dass Baldur (Balder), Friggas und Odins Sohn, von einem aus Misteln gefertigten Pfeil tödlich getroffen wird. Frigga hat zwar von allen Tieren, den Pflanzen und sogar Steinen das Versprechen, dass jene ihren Sohn nie verletzen würden – auf die Misteln vergisst sie. Loki, Friggas heimtückischer Widersacher, nutzt diese Unachtsamkeit und lässt Baldur durch dessen blinden Bruder töten. Die Tränen der trauernden Mutter verwandeln sich in die weiß schimmernden Mistelbeeren, worauf die Göttin beschließt, dass die Pflanzen in Hinkunft als Zeichen des Friedens gelten sollen.

Den Misteln verbietet sie, in Hinkunft den Boden zu berühren und vertreibt sie in luftige Höhen. In Skandinavien erzählt man sich, dass einst zwei Krieger, wenn sie sich unter einem Baum mit Misteln begegneten, Frieden schließen mussten. Der botanische Name „Viscum“ entstammt dem Lateinischen, wobei das Wort im Grunde für „Leim“ verwendet wurde. Aus den klebrigen Beeren stellte man „Vogelleim“ her, um so Vögel zu fangen. Der moderne Begriff „Viskosität“ für „Zähflüssigkeit“ geht auf den klebrigen („lat. viscosus“) Schleim der Mistelbeeren zurück.

Der mittelhochdeutsche Ausdruck „mistel“ (ahd. „mistil“) ist sprachgeschichtlich mit „Mist“ (ahd. „mist“) verwandt. Die urgermanische Wurzel „mihst-“ für „Mist, Kot, Dünger“ lässt die Deutung zu, dass vermutlich schon im Mittelalter der parasitäre Charakter der Pflanze auf einer Wirtspflanze und der klebrige Schleim als Ausscheidung verstanden wurden. Vor etwa 2000 Jahren haben Dioskurides und Plinius die Misteln näher beschrieben, ersterer stellte auch fest, dass das Gewächs Vögel braucht, um sich fortzupflanzen.

Plinius ist es zu verdanken, dass er die Riten der gallischen Druiden überlieferte: Mithilfe der Misteln wurden in dieser Kultur Geschwüre und epileptische Anfälle behandelt; gleichwohl versuchte man mit gewissen Extrakten die Empfängnis von Frauen zu fördern. Die arabischen Ärzte schienen die Angaben ihrer römischen und griechischen Kollegen zu übernehmen, wobei nicht geklärt ist, welche Arten in den verschiedenen Ländern des Orients überhaupt bekannt waren.

Hildegard von Bingen vermischte einen Mistelextrakt mit Süßholz und kurierte damit Schmerzen im Brustkorb bzw. in der Lunge. Eine Salbe aus Misteln, Olivenöl, Hirschtalg und Nardenöl – im Neuen Testament ist zu lesen, dass Maria von Bethanien Jesus mit dem teuren Öl salbte – sollte bei Gicht und Lähmungen helfen. Im Allgemeinen vertraute man im Mittelalter (14. Jhdt.) einem im bayerisch-österreichischen Raum verfassten „Eichenmistel-Traktat“, in dem im Wesentlichen auf die von Hildegard beschriebenen Anwendungsbereiche eingegangen wurde.

In den Kräuterbuch-Inkunabeln (frühe Drucke) hatten die Misteln ihren festen Platz; die Autoren gaben sich auch Mühe, die unterschiedlichen Bäume, auf denen die Misteln wuchsen, in die Beschreibungen einzubeziehen (Pappeln, Weiden, Birken, Linden, Ahorn und Obstbäume). In Anlehnung an alte Traditionen wurden Lungenkrankheiten und epileptische Anfälle als zu behandelnde Erkrankungen angeführt. Zudem findet man ein Rezept einer Mistelsalbe, die zur Förderung der Heilung von Knochenbrüchen hergestellt wurde.

Auch heute wird die Pflanze als ein in der Natur vorkommendes Arzneimittel geschätzt: Misteln enthalten apoptotisch („abfallend“, auch „zelltötend“) wirkende Mistellektine und Viscotoxine. Das in den Beeren enthaltene Tyramin wirkt ebenfalls leicht toxisch. Die Mistellektine werden zur Senkung des Blutdrucks, Stimulierung des Immunsystems, gegen Arteriosklerose und zur erwünschten (!) lokalen Entzündung eingesetzt. Des Weiteren existieren Indikationen in der alternativen Krebstherapie.

Gallische Druiden, Naturheiler sowie Verliebte um die Weihnachtszeit sind der Mistel wohlgesonnen. Sie übersehen geflissentlich, dass ihre geschätzte Pflanze ein so genannter Halbschmarotzer ist. Misteln brauchen – wie andere Pflanzen auch – Kohlendioxid aus der Luft, das sie mit Sonnenlicht und Wasser zu Sauerstoff und Zucker umwandeln. Einige Nährstoffe und eben Wasser „zapfen“ sie aus den Bäumen, auf denen sie gedeihen. Dabei schädigen sie ihren „Wirt“ teilweise so stark, dass dieser langsam abstirbt.

In den Blättern und Nadeln der betroffenen Bäume finden sich biologische Abwehrstoffe (Phenole und Tannine), während der Stickstoffgehalt deutlich abnimmt. Man spricht von Stressreaktionen, wobei die Gesundheit des Baumes, der ungleiche Befall durch Misteln sowie andere Faktoren (Dürre, Schädlinge…) natürlich auch eine Rolle spielen. Streuobstwiesen scheinen besonders gefährdet zu sein, noch dazu sind diese Felder artenreiche Lebensräume und daher besonders schützenswert. Für viele Baumarten sind die steigenden Temperaturen und die sinkenden Niederschlagsmengen schon Stress genug – der zunehmende Befall von Misteln schädigt die Bäume zusätzlich.

Um die Weihnachtszeit schmücken viele Menschen ihre Haustüre mit Mistelzweigen – weil es ein traditioneller Brauch ist, in der Hoffnung, dass diese Geste als Friedensbotschaft verstanden wird oder weil es der Zeitgeschmack gerade „fordert“. Christliche Zeugnisse dafür gibt es nicht – im Gegenteil: Es dürften eher heidnische Kulte zur Wintersonnenwende sein, die sich über die Jahrhunderte gehalten haben. Wenn man die Zweige selbst ernten will, muss man wohl oder übel einen Baum ersteigen – eine goldene Sichel wie Miraculix benötigt man aber definitiv nicht.

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