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Filmkritik "Napoleon"

Verantwortlicher Autor: Kurt Lehberger Frankfurt am Main, 03.12.2023, 19:45 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 7798x gelesen
Büste Napoleon im National Archives Museum - Hôtel de Soubise, Paris
Büste Napoleon im National Archives Museum - Hôtel de Soubise, Paris  Bild: Kurt Lehberger

Frankfurt am Main [ENA] Der Film „Napoleon“ des Briten Ridley Scott ist sehenswert. Scott erzählt uns die Geschichte von Napoleon. Der Korse, der als Revolutionsleutnant die Republik rettete und zum General befördert wurde, der die Schlachten gewann und sich zum Kaiser gekrönt hat.

Er dominierte Europa, bis er von den Briten im Verbund mit den Preußen 1815 bei der Schlacht in Waterloo (30 km südlich von Brüssel) endgültig besiegt wurde. Er galt als so gefährlich, dass er auf die Insel Saint Helena verbannt wurde, wo er im Jahre 1821 verstarb. Saint Helena ist eine Insel im Südatlantik, ca. 8.000 km Luftlinie von Paris entfernt! Der Film wirft einen mitten rein ins revolutionäre Paris. Die Menschenmenge bejubelt die Hinrichtung von Marie-Antoinette auf dem Platz Concorde im Jahre 1793 als sich die radikalen Revolutionäre durchsetzen. Eine weitere Szene zeigt die Gefangenen der Revolution, die auf ihre Hinrichtung warten. Bis zum Sturz Robespierres am 27. Juli 1794 wurden 1376 Personen zum Tode verurteilt.

Robespierre wird selbst angeklagt und hingerichtet. Napoleon ist auf Seiten der Revolution, aber nicht auf Seiten des Terrorregimes von Robespierre und verteidigt das Direktorium, „le Directoire“, die damalige Regierung. Er wendet Gewalt an und lässt auf die aufständischen Royalisten in Paris am 5. Oktober 1795 schießen. Am 10. November 1799 wird die Regierung von Napoleon Bonaparte durch den Staatsstreich des 18. Brumaire durch das Konsulat "le consulat" ersetzt, das er leitete. Somit war er quasi Alleinherrscher. Wir erleben Artillerie, Infanterie, sehen Kanonen, Gewehre mit Bajonetten, Fahnen und hunderte von Soldaten, die über Felder und Hügel ziehen.

Eindrucksvoll ist die Einnahme der Festung des Hafens in Toulon. Die Briten werden durch List überrumpelt. Mit dem Einsatz ihrer eigenen Kanonen werden ihre Segelschiffe im Hafen vernichtet. Mit diesem Coup gegen die Briten wird Napoleon berühmt und wird General der französischen Armee. Der Film ist ein Kinoerlebnis. Er wurde schnell gedreht (60 Tage) und mit dem technischen Einsatz von IT, KI und Drohnen. Die Tausenden von Soldaten auf dem Schlachtfeld sind beeindruckend. Manchmal sind die Bilder etwas farblos und die Landschaft und die Figuren nebelig. Volle Farben wie tiefes rot, strahlendes blau oder saftiges grün sind fast nie zu sehen. Die Bilder sind faszinierend.

Viele Details der Festung, der damaligen Waffensysteme, der Logistik, des Soldatenlebens werden realitätsnah gezeigt. Kino wird zum Erlebnis. Der Film schafft es immerhin in 2 Stunden und 39 Minuten die bedeutende Zeit von 1789 bis 1815 auf eine unterhaltsame Weise und mit beeindruckenden bewegten Bildern uns näherzubringen. Scott zeichnet die Person Napoleon in der Liebesbeziehung zu Joséphine nach. Er ist sensible, auch gewalttätig und brutal. Joséphine wird wie die Frau als Schlange, als Akteurin der Verführung, dargestellt (erinnert an Franz Stuck „Die Sünde“ von 1893). Napoleon als Mann erlaubt sich mit Frauen außerhalb der Ehe zu schlafen.

Das gilt nicht für die Ehefrau. Sie heiraten 1796. Joséphine wird zur Kaiserin – die erste in Frankreich – wird aber verlassen, da sie Napoleon keinen Nachwuchs gibt. Die Liebesszenen sind alles andere als romantisch. Die Sexualität wird reduziert auf einen hasenhaften, 2-minütigen Begattungsakt. Der Film ist für ab 12-Jährige freigegeben. Das Schöne am Lieben bleibt ausgespart. War das so? Einige Fragen zur Darstellung der Persönlichkeit von Napoleon drängen sich auf. Napoleon war vielseitig, er war sehr belesen, er befasst sich mit Strategien, studierte „die Kunst des Krieges“ von Machiavelli und von Sun Tzu. Er war nicht nur grob und brutal.

Victor Hugo in Les Miserables und Leo Tolstoy in Krieg und Frieden, beschreiben Napoleon als humorvoll, schlagfertig und klug in der strategischen Kriegsführung. „»Er war von Natur sehr lustig«, … »Er liebte zu spaßen, aber seine Späße waren eher sonderbar als witzig«, … »Alte Brummbären!« titulierte er seine Grenadiere, kniff sie ins Ohr, zupfte sie am Schnurrbart. »Der Kaiser hatte immer einen kleinen Schabernack mit uns vor«, erzählte Einer von ihnen… (Les Miserables, Band 2, Kapitel VII, Napoleon de belle humeur). Napoleon brachte den Code Civil, eine Rechtsordnung, die heute noch von Bedeutung ist. Auch das französische einheitliche Abitur ist auf die Idee von Napoleon zurückzuführen.

Einige filmische Szenen sind irritierend, da sie nicht der damaligen Realität entsprechen. Napoleon reitet im Film in die feindlichen Reihen und schwingt selbst den Säbel im Kampf und sticht britische Soldaten nieder. Das hat es so nicht gegeben. Einmal war Napoleon kein ausdauernder Reiter und er sah sich die Schlachten von oben, von den umliegenden Höhen mit dem Fernrohr an, ließ sich von Spähreitern die neuesten Informationen über die Gruppenbewegungen geben und entschied dann die weiteren Schritte des Heeres. Dazu gibt es einige sehr detaillierte Beschreibungen in Victor Hugo über die Schlacht von Waterloo. Ebenso historisch schlicht unwahr sind die Schlachtszenen in Schützengräben.

Diese gab es zur Zeit von Napoleon nicht. Die Heere zogen über die Felder und begegneten sich dann in der Schlacht, Mann gegen Mann oder sie wurden mit Kanonen beschossen oder füsiliert mit Ein-Schuss-Gewehren der Gegner, die in Reihen vordrängten. Die Kanonen schossen Eisenkugeln. Es gab noch keine Granaten, die explodierten und großflächige Schäden anrichteten. Die Kriegsszenen in Ägypten sind daher nicht wahrheitsgemäß. Hier lässt Napoleon im Film die Pyramiden beschießen, die dann aussehen, als wären sie mit Granaten mit hoher Explosionswirkung beschossen worden. Über diese Ungenauigkeiten kann man hinwegsehen. Schwerwiegender ist die dargestellte Eindimensionalität von Napoleon. Das ist irreführend und kommt etwa an Fake-News heran.

Die Filmemacher sollten sich von Historikern beraten lassen und möglichst wahrheitsgemäß die Personen und Ereignisse darstellen. Sonst bewegen wir uns in dem Bereich der Propaganda – und das ist in unserer heutigen Zeit wieder leider ein folgenreiches Kapitel. Am Ende des Films werden die Schlachten und die Anzahl der Toten, der gefallenen Soldaten insgesamt aufgelistet. Eine Zahl für jede Schlacht, keine Nationaltäten. Das zeigt die Grausamkeit und die Sinnlosigkeit, aber aggressive, machtbesessene Feldherren müssen erst besiegt werden, um ihren Größenwahn zu stoppen und die Vernichtung von Menschen zu beenden. Napoleon wird von Oscargewinner Joaquin Phoenix gespielt, Joséphine von Vanessa Kirby. Beide spielen ihre Rollen hervorragend.

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