Eine Stadt. Ein Buch. "Der Vorleser"
Wien [ENA] Der internationale Bestseller "Der Vorleser" von Bernhard Schlink wurde auch 2023 von der Stadt Wien für die Leseförderungsaktion "Eine Stadt. Ein Buch." ausgewählt. Seit 2002 wird nämlich einmal im Jahr ein eigens gedrucktes Buch in einer Auflage von 100.000 Exemplaren in ganz Wien gratis verteilt. Meistens handelt es sich um anspruchsvolle Themen, die sich in irgendeiner Form einer sozialen Problematik widmen.
"Der Vorleser" berührt eine ganze Reihe komplexer, wenn nicht traumatischer gesellschaftspolitischer Themen und verwebt sie in einen Roman, der erotische Spannung und das schwere Erbe der politischen Vergangenheit zu einem interessanten, aber stellenweise auch einem verstörenden Leseereignis verwebt. Der Autor erzählt das in zwei großen Teilen, eigentlich zwei Geschichten, die in ihrer Eindringlichkeit nicht immer zusammenpassen, dadurch vielleicht auch konstruiert wirken können, aber trotzdem die Ungeheuerlichkeit des Schicksals in seinen vielen Facetten darstellen. Das Besondere daran ist, daß sich eine eigentlich verbotene Jugendliebe in die Zeitgeschichte schiebt, um sich in den Gräuel des Nationalsozialismus wiederzufinden.
Überraschenderweise wird der strenge Dualismus von Teil 1 und Teil 2 durch die zarten Töne der Literatur, der Schrift und des Vorlesens berührt und Vergeben und Verstehen weichen das Harte und Unverständliche auf. Ein Rest an Beklemmung bleibt trotzdem, zu dramatisch verschieden ist die Lebenswelt, in die die Protagonistin Hanna verstrickt ist und aus der sie letztendlich keinen Ausweg als den Selbstmord sieht. Der 15 jährige Schüler Michael Berg, wird in seiner Leidenschaft für die ältere Frau hineingerissen in ein Geheimnis, dass sich erst viel später im Teil 2 plötzlich ganz nüchtern für den in der Zwischenzeit studierten Juristen entfaltet und einmal mehr den unlösbaren Konflikt zwischen Leidenschaft und Nüchternheit thematisiert.