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Der Wiener Zentralfriedhof: Er lebe hoch!

Verantwortlicher Autor: Herbert Hopfgartner Salzburg, 05.11.2024, 19:15 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 9823x gelesen

Salzburg [ENA] Wienern und Wienerinnen sagt man ein besonderes Verhältnis zum Tod nach - ein Platz im Himmel sei ihnen so gut wie sicher. Wichtig dafür ist natürlich ein würdiges Begräbnis und ein sorgfältig gepflegtes Grab im Zentralfriedhof. „Er hat den 71er genommen“...heißt ihn Wien, dass jemand gestorben und mit der berühmten Straßenbahnlinie ins Jenseits, das irgendwo im Südosten Wiens liegen muss, unterwegs ist.

Ein Zentralfriedhof weit außerhalb der Stadt? Ein Widerspruch in sich! Ein „Gottesacker“, der ohne die Zustimmung der Kirche errichtet wurde? Ein Frevel im katholischen Österreich! Ein Friedhof mit eigenem Bahnhof, einem eigenen öffentlichen Busbetrieb, einem Kaffeehaus (!) und einem (bis Mitte der 1980er Jahre existierenden) Jagdverein? Keine Angst, auf Besucher wurde nicht geschossen; die immer wieder stark steigende Population von Hasen, Rebhühnern und anderen Kleintieren erforderte jedoch gelegentlich ein „Halali“ – schließlich sollte der aufwändige Grabschmuck nicht über Nacht angefressen werden…

„Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten! Der Eintritt ist für Lebende heut’ ausnahmslos verboten. Weil der Tod a Fest heut’ gibt, die ganze lange Nacht Und von die Gäst’ ka Einziger a Eintrittskart’n braucht.“ Im Jahre 1874 wurde in Wien die größte Gräberanlage Europas eröffnet: der Wiener Zentralfriedhof. Mittlerweile sind es schon rund 330.000 Grabstellen mit über 3 Millionen Bestatteten – die Zahl der Beherbergten ist somit höher als die der Einwohner Wiens. Im Wiener Schmäh heißt es, dass „der Wiener Zentralfriedhof halb so groß, aber doppelt so lustig sei wie die Stadt Zürich…“

Kein Geheimnis ist die Tatsache, dass sich der Wiener Gemeinderat damals mit der Katholischen Kirche anlegte. Mit dem Beschluss zum Bau des zentralen Friedhofs (1863) endete in der Stadt die jahrhundertelange Zuständigkeit der Kirche für Begräbnisfeierlichkeiten. Einen weiteren Skandal gab es, als bekannt wurde, dass einzelne Glaubensgemeinschaften ihre eigene Abteilung erhalten würden. Die Situation eskalierte, als kurz vor der Eröffnung sogar die Segnung durch einen katholischen Priester untersagt wurde! „Wann’s Nacht wird über Simmering, kummt Leben in die Toten, und drüben beim Krematorium tan’s Knochenmark anbraten. Dort hinten bei der Marmorgruft, dort stehen zwei Skelette, die stessen mit zwa Urnen z’samm und saufen um die Wette."

Im Südosten Wiens, in Kaiserebersdorf und Simmering, wurde schließlich mit dem Bau begonnen: Der Boden war eben und von guter Beschaffenheit. Der Löss war für die Friedhofsarbeiter leicht zu bearbeiten, die Seitenwände der Gräber stürzten nicht sofort ein und der rasche Verwesungsprozess der Leichen verhinderte epidemische Krankheiten. Allerdings – der Friedhof war für die Einwohner Wiens anfangs schlecht zu erreichen. Dieser Umstand musste schnell geändert werden, denn Begräbnisse waren und sind für den eingefleischten Wiener eine echte Lebensaufgabe… „Am Zentralfriedhof is Stimmung, wia seit Lebtag no ned woa, weil alle Toten feiern heut seine ersten hundert Jahr.“

„A schöne Leich“ ist in Wien gleichbedeutend mit einem würdevollen Begräbnis. Dafür sorgen traditionellerweise die „Pompfüneberer“, die Bestatter. Der Name leitet sich von einem Unternehmen aus dem 19. Jahrhundert ab, das als „Entreprise des pompes funèbres“ („Unternehmen für Begräbnisfeierlichkeiten“) in die Geschichte einging. Gewiss, eine eigene Marmorgruft am Zentralfriedhof dürfte nach wie vor eines der großen Lebensziele eines Wieners sein – selbstverständlich auch eine Trauerfeier mit würdevollen Ansprachen von ordenbestückten Honoratioren, weinenden Witwen, einem Schrammelquartett und reichlich Kränzen und Kerzen.

„Es lebe der Zentralfriedhof und seine Jubilare. Sie liegen und verfaul’n scho da seit über hundert Jahre. (sic!) Draußt is kalt und drunt is warm, nur manchmal a bisserl feucht. Wenn ma so drunt liegt, freut ma sich, wann’s Grablaternderl leucht.“ Um den Besuch des Friedhofs attraktiver zu machen, verlegte man einige Ehrengräber (u.a. Ludwig van Beethoven, Franz Schubert) kurzerhand nach Simmering. Zusätzlich verbesserte die Stadt Wien die Verkehrsanbindung, wobei die Elektrifizierung der Straßenbahn (1901) das Besucheraufkommen deutlich ansteigen ließ.

Die gruseligen Leichenzüge verschwanden langsam von den Straßen – statt der Pferdewagen wurden zunächst ebenfalls Straßenbahnen und später (ab 1925) Lastkraftwagen eingesetzt. Überdies – und der Umstand gibt zu denken – wurde die 1910 erbaute Karl Borromäus Kirche vom Volksmund umgehend in „Karl-Lueger-Gedächtniskirche“ umbenannt und zur Pilgerstätte auserkoren. Der umstrittene Bürgermeister fand dort seine letzte Ruhestätte. „Es lebe der Zentralfriedhof, die Szene wird makaber; die Pfarrer tanzen mit die Huren, und die Juden mit d’ Araber. Heut san alle wieder lustig, heut’ lebt alles auf. Im Mausoleum spielt a Band, die hat an Wahnsinnshammer drauf.“

Zu Allerheiligen ist am Friedhof nach wie vor „der Teufel los“: Über 300.000 Wiener „stürmen“ die ansonsten friedliche und stille Anlage. Sonderlinien halten am eigenen Bahnhof, die Polizei hat alle Hände voll zu tun, um die Besuchermassen und den Autoverkehr voneinander zu trennen. Da die Simmeringer Hauptstraße von Steinmetzbetrieben, Gärtnereien, Blumen-, Kranz- und Kerzenverkaufsständen geradezu übersät ist, betritt kein Besucher ohne entsprechenden Grabschmuck das weitläufige Gelände. Und weil das Ganze ja fast in Arbeit ausartet, gibt es vor dem Eingang einen Maronibrater und Würstelbuden. So viel Zeit muss sein.

„Es lebe der Zentralfriedhof! Auf amoi macht’s an Schnalzer, der Moser singt’s Fiakerlied und die Schrammeln spül’n an Walzer Auf amoi ist die Musi still, und alle Augen glänzen, weil dort drüb’n steht der Knochenmann und winkt mit seiner Sensen.“ (Liedtext: Joesi Prokopetz – Musik: Wolfgang Ambros) 1921 erfolgte übrigens der nächste Disput mit der Katholischen Kirche. Das „Rote Wien“ bewilligte den Bau einer Feuerhalle bzw. damit die Feuerbestattung. Erst 1964 (!) erteilte der Vatikan die offizielle Erlaubnis zur Einäscherung. Clemens Holzmeister begründete mit dem orientalisch angehauchten Charakter der Feuerhalle Simmering seine außerordentliche Karriere als Architekt.

Dem heutigen Besucher offenbart sich also auch ein künstlerisches Erlebnis. Ein Plakat anlässlich des 100-Jahre-Jubiläums des Zentralfriedhofs regte 1974 Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz zu der Kultnummer „Es lebe der Zentralfriedhof“ an. Mediales Interesse erregte der besondere Schauplatz freilich schon 1948 mit der Verfilmung des Klassikers „Der dritte Mann“; Ultravox präsentierte in ihrem Musikvideo „Vienna“ ebenfalls einige Szenen vom Zentralfriedhof. Für die Serien „Kottan ermittelt“, „Kommissar Rex“ und „Die Knickerbocker-Bande“ drehte man desgleichen in der Totenstadt. Vielen unvergessen ist zudem das Begräbnis von Falco im Februar 1998, bei dem tausende Menschen und Fans den Trauerzug begleiteten.

Heute muss es also heißen: „Am Zentralfriedhof is Stimmung, wia seit Lebtag no ned woa, weil alle Toten feiern heut seine ersten hundert(fünfzig) Jahr.“ Die Wiener scheinen eine seltsame Verbindung mit dem Tod zu haben: Besungen in fast jedem Wienerlied, erscheint der Tod (nicht das Sterben!) spätestens in der dritten Strophe. Als Wiener und Wienerin braucht man den Tod allerdings auch nicht zu fürchten – ob man nun ein gutes oder schlechtes Leben geführt hat. Allein schon die Tatsache, dass man in dieser Stadt geboren wurde bzw. gelebt hat, berechtigt offenbar zum (sofortigen) Eintritt in den Himmel, der sich unweit von Grinzing befinden muss.

Seit gut zwanzig Jahren herrschen im Wiener Zentralfriedhof sogar demokratische Spielregeln: Das jahrhundertealte Monopol der „Bestattung Wien“ wurde aufgehoben: Seit 2002 bieten private Unternehmen ihre Dienste um „a schöne Leich“ an – selbstverständlich mit allem, was dazu gehört. Wer also das nötige Kleingeld hat, kauft sich am Wiener Zentralfriedhof schon zu Lebzeiten eine prunkvolle Gruft, lässt seinen Namen und sein Geburtsdatum in Goldschrift auf den Marmorstein gravieren und wartet geduldig auf die Engerl, die bei der Ankunft im Himmel ein Wienerlied spielen.

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