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Das Einhorn – Mythos, Märchen oder bloße Flunkerei?

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartnber Salzburg, 27.03.2025, 22:24 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 10118x gelesen

Salzburg [ENA] Kein Tier lässt Kinderherzen höher schlagen. In Märchen, alten Legenden, aber auch in modernen Filmproduktionen taucht immer wieder das Einhorn als Fabelwesen auf – ein Tier, das es so mit Sicherheit nie gegeben hat. Gleichwohl regt dieses „zauberhafte“ Geschöpf seit langer Zeit die Einbildungskraft der Menschen nachdrücklich an. Auch die Pride-Bewegung umgibt sich mit dem Symbol der Fantasie und Einbildungskraft…

Das Einhorn, griechisch „monókeros“, lateinisch „unicornis“, althochdeutsch „einhurno“, gilt als sagenhaftes, mit wundersamen Attributen ausgestattetes Wesen in pferdeähnlicher Gestalt, das nur von einer Jungfrau gefangen werden könne (Ktesias, um 400 v. Chr.). Seit Plinius mit einem zwei Ellen langen Horn ausgestattet, unter dem ein Karfunkelstein wachse, wird das Einhorn auch als Symbol für Anmut, Tugend und Glück verstanden.

Die frühesten Zeugnisse scheint die Indus-Kultur zu liefern: Aus dieser Zeit (ca. 2300 – 1750 v.Chr.) sind Siegel erhalten, die ein Tier mit einem Horn zeigen. Da diese Tiere seitlich abgebildet sind, könnte es sich natürlich um eine Kuh oder eine Art Antilope handeln, wobei man lediglich ein Horn (und auch nur zwei Beine) sieht. Ähnliche Darstellungen finden sich bei den benachbarten Sumerern, sodass die Hypothese einer gemeinsamen Kultur im Raum steht. Wenige Autoren des Altertums berichteten, dass sie das Tier mit eigenen Augen gesehen hätten – umso mehr verließen sie sich auf Erzählungen von Reisenden, die in fremden Ländern offenbar Bekanntschaft mit legendären Wesen gehabt hatten.

Diese erzählten, dass in Indien ein Tier lebe, das zwischen den Augen ein schwarzes Horn, eine laute Stimme und, den Schweinen ähnlich, einen relativ kurzen Schwanz habe. Im Grunde friedfertig werde es nur unter Artgenossen aggressiv. Diese alten Berichte deuten unschwer auf Nashörner. Aufgrund der Tatsache, dass im antiken Griechenland und in Rom keine nachweisbaren Beobachtungen und keine bildlichen Zeugnisse existieren, wundert es nicht, dass in der Mythologie dieser Kulturen das Einhorn als legendenumwobenes Wesen schlichtweg fehlt!

Im Alten Testament ist von einem (hebräisch) „Re’em“ die Rede, einem („gehörnten“) Tier, das fälschlicherweise mit „Einhorn“ übersetzt worden ist. Da auf alten babylonischen Abbildungen die Perspektive auch noch nicht ausgebildet war, sieht man auf den Reliefs folglich wieder nur ein Horn. Forscher vermuten, dass es sich bei diesen Tieren um Auerochsen oder wilde Stiere gehandelt haben dürfte, wobei gerade der Stier in der zoroastrischen Religion eine große Bedeutung hatte.

In der frühchristlichen Schrift „Physiologus“ – im 2. nachchristlichen Jahrhundert in Alexandria entstanden und später in Byzanz weiterentwickelt – werden Fauna und Flora beschrieben und auf die christliche Heilsgeschichte umgedeutet. Offenkundig war den Verfassern nicht die naturkundlich exakte Beschreibung der Tier- und Pflanzenwelt von Wichtigkeit, sondern eher eine moralisierende Analogie auf die göttliche Schöpfung und die christliche Heilslehre. So wird im „Physiologus“ das Einhorn als Tier beschrieben, das nur von einer Jungfrau gezähmt und vom Erzengel Gabriel gejagt werden könne. Der Jungfrau wurden – wenig überraschend – Attribute der Jungfrau Maria verliehen.

Im Kloster Einsiedeln existiert vermutlich das älteste Bildnis eines Einhorns in der abendländischen Kultur (12. Jahrhundert) – es zeigt eine Verkündigungsszene Marias. Die spätantike Deutung wurde also im Mittelalter weiterhin rezipiert. Isidor von Sevilla, Hildegard von Bingen und Albertus Magnus erwähnen das „Einhorn“ genau wie Marco Polo, der vielleicht auf Sumatra ein entsprechendes Tier sah. Zu jener Zeit verlangte das leseunkundige Volk immer neue Geschichten und Bilder von fremden Ländern und exotischen Wesen – fahrende Händler und Spielleute versorgten die Menschen mit immer neuen „Erlebnissen“, insbesondere um den Karfunkelstein, der unter dem Horn des Fabelwesens vermutet wurde.

Diesem Stein sprach man heilsame und wunderbare Kräfte zu. Gerade für die Alchemisten versinnbildlichte das Einhorn (wie auch der Löwe) den Geist Merkurs und damit des Quecksilbers. Selbstverständlich versuchten diese einfallsreichen Köpfe nicht nur den „Stein des Weisen“ zu finden, mit seltsamen Ingredienzien Gold herzustellen, sondern auch mit allerlei exotischen Extrakten, neue Arzneien und möglicherweise auch Gifte zu produzieren. Das Horn selbst wurde als erhabenes Trinkgefäß stilisiert. Im „Physiologus“ ist zu lesen, dass ein durch Schlangengift (vgl. die Umschreibung des Teuflischen) vergiftetes Wasser seine Wirkung verliert, wenn ein Einhorn mit seinem Horn ein Kreuz (!) in das Wasser schlägt.

Zu Beginn der Neuzeit häuften sich die Reiseberichte von wagemutigen Forschern, die abwechselnd in Afrika und in Asien Einhörner gesichtet haben wollten. Umberto Eco hat vermutet, dass sich in den Reisenden schon vor Beginn ihrer Expeditionen die Vorstellung manifestierte, unbedingt derartige Sensationen erleben und der Nachwelt hinterlassen zu müssen. Möglicherweise erwartete man auch von den Rückkehrern dementsprechende Geschichten… Auf Tafelbildern, Wandteppichen und Gemälden der Renaissance findet sich beständig das Motiv des Einhorns – die Verbindung mit einer das Tier zähmenden Jungfrau bleibt dabei mehrfach bestehen.

Der Narwal gilt als „Einhorn des Meeres“ oder „See-Einhorn“. Dessen Stoßzähne, die an das Horn eines Einhorns erinnern, wurden vor Norwegen gefunden – und für das mythische Horn gehalten. Sie wurden als „Ainkhürn“ („Ein-Gehörn“, Horn des Einhorns“) bezeichnet und genossen, ob ihrer Seltenheit, einen hohen Wert. Viele Herrscher verwendeten es für ihre Insignien bzw. als Schatz in ihren Wunderkammern. Im Rahmen eines Kreuzzuges entwendeten Kreuzritter in Konstantinopel zwei Narwal-Stoßzähne und brachten die Kostbarkeit nach Venedig – wo es in der Schatzkammer des Markusdomes noch heute zu bewundern ist.

Während die Habsburger in ihrem Wiener Kronschatz ebenfalls einen „Ainhurn“-Zahn aufbewahrten, ist der Thron des dänischen Königs ausschließlich aus den Stoßzähnen des Narwals gefertigt. Selbstverständlich schrieb man dem „Ainkhürn“ geheimnisvolle und überirdische Fähigkeiten zu – wiederum glaubte man, dass das Horn die Wirkung von Gift neutralisieren könne. Erst 1638 überzeugte der Mediziner und Naturforscher Olaus Wormius die Öffentlichkeit, dass die Hörner die Zähne von Narwalen waren.

In Fantasy-Romanen, in der Esoterik, aber auch in der populären Kultur entfacht das Einhorn als Fabeltier zurzeit eine neue Welle der Begeisterung: Das Einhorn symbolisiert nicht nur Reinheit, Unschuld bzw. Keuschheit, sondern steht sinnbildlich für Magie und Mystik. Nicht umsonst wird fast immer ein leuchtend-weißes Tier – mitunter auch mit Flügel und Regenbogen – dargestellt. Menschen, die fest von der Existenz des Wesens überzeugt sind, behaupten, dass sich ein Einhorn nur Auserwählten zeige. Auf schamanistischen Reisen und in tiefer Meditation wäre man imstande das scheue Tier zu erkennen, anderen bliebe es ein Leben lang verborgen.

Diese Faszination beruht möglicherweise auch auf der Vorstellung einer spirituellen Verbindung zwischen der tatsächlichen Welt und dem Übersinnlichen: Das Tier ohne List und Tücke würde selbstverständlich nur einem Eingeweihten beistehen und helfen. Das Horn, das mitten auf der Stirn wachse, wäre unschwer als drittes Auge bzw. das Ajna Chakra zu erkennen. In Indien als „spirituelles Herz“ bekannt, gilt das Chakra als „Tür zu unserer Intuition“ respektive als Verbindung zur Zirbeldrüse und garantiere ungewöhnliche Bewusstseinserfahrungen. Pragmatisch denkenden Zeitgenossen erschließt sich das Einhorn hingegen immer noch als Wappentier Englands und als Symbol für Apotheken.

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