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Caracoli in Bogota

Verantwortlicher Autor: Kurt Lehberger Bogota, 10.02.2024, 05:21 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 7361x gelesen
Caracoli in Bogota
Caracoli in Bogota   Bild: Kurt Lehberger

Bogota [ENA] Das Viertel Caracoli wird als sozialer Brennpunkt angesehen. Es ist ein Häusermeer. Die Häuser sind ineinander verschachtelt. Markant sind die roten Ziegelsteine, die meisten Häuser sind unverputzt. Es sind steile Hänge, an denen sich die Häuser festkrallen. Die Hauptstraße ist stark befahren.

Viele Kolumbianer*innen gehen die Straße zu Fuß entlang. Kleine Gewerbebetriebe bieten ihre Waren und Dienste an. Es sind Autowerkstätten, kleine Handwerksbetriebe, aber auch Drogerien und Einzelwarenhändler. Wir treffen uns an einem Platz, der so angelegt ist, dass die Möglichkeit zum Ballspiel, Sporttreiben oder anderen Freizeitaktivitäten gegeben ist. Unser Projektpartner von Creciendo Unidos weist uns auf einen einsam stehenden Olivenbaum am Horizont hin (siehe Foto). 1950 haben sich hier zwei Personen erhängt. Der Baum hat eine symbolische Kraft und wird heute als kulturelles Erbe geschützt. 1950 waren viele soziale Unruhen in Bogota. In dieser Gegend waren Drogengeschäfte und militärische Konflikte lange Zeit an der Tagesordnung.

Am 11.10.1993 fand hier ein bedeutender Streik statt. Der Verkehr wurde lahmgelegt. Die Einwohner forderten mit der Verkehrsblockade ihre politischen Bürgerrechte ein. Sie wollten, dass der Staat bzw. die Kommune Ihnen alle notwendigen Dienste wie Wasser, Gas, Öl und Strom unter angemessenen Bedingungen zur Verfügung stellt. In dieser Zeit wurde das „blaue Coca“ als Energiequelle zum Kochen aus politischen Gründen billig angeboten. Die Häuser waren teilweise illegal und aus billigen Materialien wie Kartons gebaut. Heute sind die Häuser aus Betondecken, Betonsäulen und roten Ziegelsteinen errichtet. Das Viertel Caracoli ist ein Viertel der Vertriebenen. Hier sammeln sich schon seit längerer Zeit alle Problemgruppen.

Heute sind es viele Migranten aus Venezuela und andere Menschen, die in die Stadt kommen, um Arbeit zu finden und sonst nirgendwo eine Wohnung finden können. 2015 gab es hier ein großes Protestlager. Die Bewohner lehnten sich gegen Investoren auf, die den Bergbau ausweiten wollten und das noch unbebaute Land, wo jetzt der Olivenbaum steht, opfern wollten. Der Protest hatte Erfolg. Das Gebiet um den Olivenbaum herum ist heute nationales Denkmal, also ein kulturelles Erbe, das geschützt wird. Es ist ein ökologisches Schutzgebiet. Die Gegend ist wüstenähnlich. Nur kleine Bäume wachsen hier. Der niedrige Bewuchs und die grüne Fläche wird „Paramo“ genannt. In dieser Gegend hat man alte Mauerzeichnungen von frühen indigenen Gruppen gefunden.

Ein Natursee mit erhöhtem Schutzbedarf befindet sich hier. Die Umweltschützer dieser Gegend wurden von bewaffneten Gruppen bedroht, beauftragt von den Kapitalgesellschaften, die in diesem Gebiet neue Häuser bauen wollten. Auf dem Bild links neben dem Olivenbaum sehen wir in der Siedlung eine blau grüne Fassade. Hier ist ein kommunales Schulprojekt untergebracht. Daneben ist eine weiße Wand. Sie wird als Projektionsfläche eines kommunalen Kinos genutzt. Wir sind hier im Grenzland zur Stadt Bogota. Hier existieren viele paramilitärische Gruppen. Sie erpressen Schutzgelder und betreiben illegale Geschäfte wie zum Beispiel den Handel mit Autos ohne Zulassung. Interessen werden mittels Schmiergelder durchgesetzt.

Es finden gewaltsame Vertreibungen statt. Die Gesellschaft ist zweigeteilt. Auf der einen Seite haben wir eine große Armut, betroffen sind die Bewohner, die hier in dem Viertel unterkommen müssen. Auf der anderen Seite haben wir bekannte, reiche Familien, die über Macht und Geld verfügen und versuchen, ihre Interessen durchsetzen. Zwar ist die FARC aufgelöst, doch gibt es heute neue Gruppen, die mit Waffen ihre Interessen durchsetzen. Auffallend sind die Graffitis an den Wänden. Es sind Hassparolen, stark rechts orientiert, auch Aufrufe gegen Afrikaner oder Afro-ethnische Gruppen. Vor 2 Jahren, in 2022, wurden hier in dem Viertel zwei Bomben gezündet. Es fanden Morde an Jugendlichen statt. Die Gegend ist heute stark stigmatisiert.

Das heißt, wer von hier kommt, findet nur schwer Arbeit. Die Jugendlichen von hier kriegen in der Regel keine Arbeit. 2021 war die Gegend im Ausnahmezustand. Es gab Übergriffe durch die Polizei und Kämpfe von para-militärische Gruppen. Es gab viele Tote. Die Sozialarbeit setzt hier ein. Die Projekte versuchen, mit Kultur, Kunst, Theater und Musik, Kinder und Jugendliche anzusprechen, um ihnen eine Lebensperspektive zu geben und sie nicht den militärischen Gruppen zu überlassen. Wir schauen uns ein Projekt der FCU (Fundacion Creciendo Unidos) im Gebäude der „Cocina popular“ an. Seit mehreren Jahren bildet ein Bäcker hier Jugendliche und junge Erwachsene im Backhandwerk aus. 10 Personen haben mittlerweile die Ausbildung erfolgreich beendet.

Vier betreiben inzwischen eine eigene Bäckerei. Zehn weitere Personen sind zurzeit in der Ausbildung. Die Ausbildung findet nebenberuflich statt. Zwischen 2 und 6 Stunden an 4 Tagen in der Woche. Der Lehrer des Backhandwerkes ist gleichzeitig auch Lebensmittelingenieur. Er vermittelt neben den Backfertigkeiten auch theoretisches und praktisches Wissen über gesunde Ernährung. Wir haben die Gelegenheit von einer ausgebildeten Bäckerin die Köstlichkeiten zu probieren. So wurden Croissants, Teigtaschen, Brötchen und Hot Dogs für jeweils 2.000 Pesos (50 cents) angeboten. Wir besuchten anschließend den Kräutergarten auf der Terrasse. Auch hier wird den Kindern und Jugendlichen, praktisches Wissen für den Umgang mit Kräutern beigebracht.

Es sind „Haltepunkte“ für Kinder, die im Gewaltumfeld groß werden oder negative Migrationserfahrungen haben. Wir besuchen die Küche. Hier kochen Frauen seit 13 Jahren für die Speisung der Bewohner der Community. Unter dem Slogan „Lebenssuppe“ werden verschiedene Gerichte, vegetarisch oder mit Fleisch, Burrito oder Eintöpfe, ergänzt durch Obst, Gemüse und Säfte angeboten. Wir selbst konnten die frisch zubereitete Mahlzeit im Rahmen eines Festes, das anlässlich unseres Besuchs aus Deutschland organisiert wurde, einnehmen. Die Kinder bekommen jeden Tag eine Mahlzeit. Kostenfreies Essen für die Gemeinde ist jetzt dreimal die Woche. Während der Pandemie, wurde im Rahmen der Aktion „Suppe fürs Leben“ täglich 300 Personen verköstigt.

Kolumbien ist ein wunderschönes Land. Die neue Regierung ist auf einem guten Weg, das Land zu befrieden. Viele Konflikte und Herausforderungen sind noch zu lösen bzw. zu meistern.

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