Wellen auf Abwegen - Gefahr für Rundfunkfrequenzen
München [ENA] Daß man auch für elektromagnetische Wellen kämpfen muß, wissen Insider, und wenn ein Kampf verloren wird, bekommen es einige Jahre später die Zuschauer oder Zuhörer zu spüren. Ein solcher Kampf steht wieder an, auf der Weltfunkkonferenz 2023. *
Früher nannte man diese eher seltenen Ereignisse Wellenkonferenz. Es geht um die Verteilung oder Umverteilung des Frequenzspektrums, das für die verschiedensten Funkdienste genutzt wird. Und weil Funkwellen nicht vermehrbar sind und nicht änderbare physikalische Eigenschaften und Begrenzungen haben, ist seit langem ein Verdrängungswettbewerb im Gange, in dem nicht Gemeinwohlinteressen, sondern Marktmacht und Profitgier dominieren.
Das formale Ziel, das in einer Videokonferenz des ZVEI Anfang Dezember 2021 präzisiert wurde, ist derzeit die Entwicklung einer nationalen Position für die nächste Wellenkonferenz (ZVEI ist der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, hier näherhin der Verband der Elektro- und Digitalindustrie). Hierzu wurde eine "Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen" gegründet, die das Rundfunkspektrum gegen weitere übergriffige Forderungen der Mobilfunkbranche verteidigen soll.
Wie das Titelbild zeigt, wurden bereits im Zuge der Frequenzversteigerungen 2010 und 2015 über 40 % des Rundfunkspektrums für den Mobilfunk requiriert, zweckentfremdet und euphemistisch "Digitale Dividende" genannt. Daß man Raub neuerdings "Dividende" nennen kann, gehört zur verbalen Kriegführung in gesellschaftlichen Verteilungsdiskussionen. Eine der Nebelkerzen, die hier gezündet wurden, ist der Vorwand der Mobilfunkindustrie, man brauche die geforderten UHF-Frequenzen für die Füllung der Funklöcher, die ja zum Erstaunen aller auch noch Jahrzehnte nach Beginn des Mobilfunks bestehen.
Dies ist aus mehreren Gründen falsch. Zum einen verfügt der Mobilfunk ja schon über sehr viel Spektrum. Zum andern sind Funklöcher oder Weiße Flecken natürlich nicht naturgegeben, sondern lediglich das Ergebnis eines ökonomischen Kalküls und notabene des politischen Versäumnisses, bei der jeweiligen Frequenzzuteilung entsprechende Netzabdeckungsverpflichtungen festzuschreiben. Funklöcher sind also kein technisches Problem. Im übrigen wurde, um dieses politische Versäumnis und das Marktversagen nachträglich zu korrigieren, die Mobilfunk-Infrastrukturgesellschaft (MIG) gegründet.
Man könnte auch sagen: das Marktversagen oder vielmehr der aus Profitgier verweigerte Infrastruktur-Grundversorgungsauftrag der Branche soll mit Steuermitteln kompensiert werden. Daß die besagte MIG wiederum aus politischen Gründen falsch aufgesetzt ist - nach dem Motto: "Halbe Million/m Kosten und kein Funkloch weniger" -, gehört seinerseits zu den vielfältigen Defiziten und Fehlentwicklungen in der staatlichen Digitalisierungsstrategie.
Zu den unlauteren Motiven der Mobilfunkbranche, den Rundfunk seines UHF-Bandes zu berauben, gehört zweifellos auch das Kalkül, seine bisherigen Nutzer in kostenträchtige Mobilfunknutzungen zu treiben. Schon vor Jahren hätte es die Möglichkeit gegeben, DABplus-Empfang in die Telefone zu integrieren und so kostenloses Radio anzubieten. Davon hat die Endgeräteindustrie keinen nennenswerten Gebrauch gemacht. Und während ältere Smartphones noch UKW an Bord hatte, fehlt es bei den neueren. Statt dessen wird beim Stichwort "Radio" Spotify genannt - offensichtlich eine Perversion der Idee von Radio.
Demnächst wiederholt sich die Ignoranz/Feindschaft gegenüber öffentlichen Netzen, wenn es nämlich um die Implementierung von 5G-Broadcast gehen wird. Nachdem der Rundfunk erfolgreich um die Aufnahme dieser Verteilkommunikationsinfrastruktur in den 5G-Standard gekämpft hat, will man ihr durch Wegnahme des UHF-Bandes den Boden entziehen. Zu den Nutzern des UHF-Bandes gehört darüber hinaus auch die Bühnentechnik mit ihren Funkmikrofonen und anderen drahtlosen Geräten in der Medienproduktion. Deren technischen Bedarf erläuterte auf der Konferenz Marc Grandmontagne, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Weitere Nutzer sind Wetterdienst und Astronomie.
Was an der Konferenz so betrüblich stimmte, war gewissermaßen die argumentative Topologie, die Art der Gründe, die man für den Behalt der Rundfunkfrequenzen ins Feld führen zu müssen glaubte. Die Technische Direktorin des BR, Prof. Dr. Dr. Birgit Spanner-Ulmer, erinnerte an den Daseinsgrund des Rundfunks und verwies auf den gesellschaftlichen Integrations- und den Kulturauftrag. Neben der "Klammerfunktion in der Demokratie" stehe die Basisinformation der Bürger in Notfällen, wie soeben bei den Überschwemmungen im Rheinland klar geworden ist, als der Mobilfunk im Wasser ertrank. Im Katastrophenfall stellt also der terrestrische Rundfunk die Information der Bevölkerung sicher.
Weiterhin sei zu berücksichtigen, daß der Energiebedarf für Individualkommunikation stets sehr viel höher als für Verteilkommunikation ist. Der Energieverbrauch bei der Aussendung von TV-Inhalten ist über terrestrische Rundfunknetze um den Faktor 5-10 geringer als über das offene Internet bzw. über IPTV-Netze. Wenn Nachhaltigkeit ein Ziel sein soll, kann man nur für den Behalt der Rundfunkfrequenzen und ihre Weiterführung in 5G-Broadcast plädieren.
Der Konflikt um die Frequenzen läßt sich gesellschaftspolitisch auch als Beispiel für die seit den 80er betriebene Privatisierung öffentlicher Güter verstehen. Inzwischen liegen genügend Erfahrungen vor, welche Nachteile der Nutzer dadurch zu erleiden pflegt. Man muß diese Mißerfolgsgeschichte nicht noch vermehren. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hat sich auch die Initiative SOS – Save Our Spectrum gegründet, ein leider nur zu berechtigter Warnruf. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das Spektrum abzugeben. Vielmehr genügt ein einziger Grund, es zu behalten: der Rundfunk benutzt es seit dem Beginn von Fernsehausstrahlungen in den 50er Jahren.