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Web3-Gipfel auf den Münchner Medientagen 2022

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 28.10.2022, 19:45 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 8273x gelesen
Die Google-Zone mit der rustikalen Bretterwand rechts.
Die Google-Zone mit der rustikalen Bretterwand rechts.  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] Nachdem die Ergänzung - oder Ablösung - des klassischen, linearen Fernsehens durch Streaming inzwischen schon gut gelernt und ökonomisch beherrscht ist, steht jetzt eine "neue Bewegtbild-Architektur" an, der die Medientage München einen eigenen Gipfel widmeten.

Zur "neuen Bewegtbild-Architektur" zählt jene digitale Protuberanz, die das Kongreßprogramm zurückhaltend als Web3 bezeichnete, die aber vom Propagandisten Meta (vormals Facebook) zum Metaversum aufgeblasen wird. Die Firma bot auf einem markierten Areal VR-Erfahrungen mit Oculus-Brillen an. Die Frage nach konstruktiven, nicht unterhaltungs- und spielebezogenen Inhalten erhielt keine befriedigende Antwort. Man kann unschwer argwöhnen, daß so die bisher "nur" flächendeckend ausgebreiteten digitalen Albernheiten (des Web2) nun raumfüllend gemacht werden.

Web3 - neuer Anlauf in den virtuellen Raum

Wir gerieten dann immerhin durch Zufall in jene "Horizon World", die als Prototyp der künftigen digital-sozialen Architektur gelten soll oder will. Man muß nicht über die Simplizität der Landschaften und Gebäude herziehen, die in der jetzigen Anfangsphase auf dem Niveau von Kindergartenspielzeug angesiedelt ist. Und die Verkündigung der Kooperation mit Microsoft, um in VR Office-Software nutzen zu können, ist offenbar auch nichts, was einen atemberaubenden Raum neuer ergonomischer Möglichkeiten aufreißt. Man stelle sich die Unnavigierbarkeit der neueren Word-Versionen in den dreidimensionalen Raum vergrößert vor - den Gelegenheiten, Funktionen unauffindbar zu verstecken, sind jedenfalls keine Grenzen mehr gesetzt.

Entscheiden wird künftig die Belebung und Steuerung durch Nutzer, Populationen, Diskurse, aber auch die weiterwirkende Macht der etablierten ökonomischen Strukturen. Mehrere Diskussionen versuchten sich an Prognosen, die aber nur zeigten, wie unscharf und fragil das Konzept nach wie vor ist. Man braucht auch kein Mitleid mit Meta zu haben, daß man sich dort mit einem vielleicht nicht tragfähigen Konzept finanziell ins Abseits stellte. Daß die Digitalisierung unseres Lebens voranschreiten wird, unterliegt keinem Zweifel. Nur Richtung und Werkzeuge dafür sind noch nicht eindeutig bestimmt. Daß Immersion allein als Motiv nicht ausreichen wird, dürfte hingegen sehr wahrscheinlich sein.

Auch im Falle des 3-D-Fernsehens hat die Immersion als Attraktion nicht zum Markterfolg ausgereicht, obwohl die dortigen Brillen, verglichen mit den VR-Brillen, geradezu mühelos zu tragen waren. So erwartete Hendrik Hey ("Welt der Wunder") vom Web3 eher eine soziale, als eine technische Revolution, weil sich eine dezentrale Logik gegen die zentralistische Architektur von Web2 in Stellung bringen werde. In die gleiche Richtung argumentierte Peter Großkopf, der mit dem Namen seiner Firma "Unstoppable Finance" auch schon hinlänglich ihre Strategie signalisierte.

Bei ihm waren es paradigmatisch die Künstler, die nun wirklich individuell unabhängig (von Intermediären wie Galeristen und Verlagen) und mit Hilfe von NFTs ihre Kunst monetarisieren könnten. Anna Graf, Arvato, schwärmte von unabhängigen Communities. Es wäre freilich das erste Mal, daß individuelle Äußerungsmöglichkeiten nicht von entsprechenden Kommerzstrategien formatiert, kanalisiert, okkupiert und monetarisiert würden.

Soziale Topologien werden offensichtlich nicht allein durch individualisierbare Technik individualisiert, sondern bleiben stark kollektivistisch strukturiert und stehen damit dem Zugriff der Plattformökonomie offen. Die Wahrheit, d.h. die wahrscheinliche Zukunft, tröpfelte denn auch an einigen Stellen durch die Visionen/Illusionen. Großkopf gab unumwunden zu, daß die (3-D-)Partizipation als Höchstform von Kundenbindung zu werten sei. Dr. Michael Gebert, Europ. Blockchain Assoc., betonte, daß im Metaversum aufgrund der obligatorischen digitalen Brieftasche, "Wallet", jeder Schritt nachvollziehbar sein wird. Die totale Kundenerfassung wird also möglich.

Man kann die neue Abhängigkeit auch in eine etwas philosophische Form kleiden, wie sie Gebert zitierte: Metaversum bedeutet, wenn das digitale Leben mehr wert ist als unser physisches Leben. Das ist eine "Umwertung aller Werte", wie sie F. Nietzsche seinerzeit gewiß nicht im Sinne hatte. Erwartbar ist hingegen eine Segmentierung/Fraktionierung der Kundschaft, denn der technische Aufwand für das Web3 und die dafür nötige technische Affinität selektiert automatisch die gewünschte jugendliche Zielgruppe, die dann auch kein Privatheitsproblem mehr hat, während die ältere Generation, die schon heute an der 2-Faktor-Identifikation beim Online-Banking zerschellt, erst gar nicht bedient wird.

An Befremden wird es jedenfalls nicht fehlen, wie man an einem von Vicktoria Klich, web3.fund, gegebenen Beispiel sehen kann. Nike besetzt schon mal den virtuellen Raum, um virtuelle Mode zu lancieren. Dies kann natürlich nur funktionieren, wenn die Leute, wie in der obigen Definition unterstellt, ihre virtuelle Existenz für wichtig genug halten, um dafür viel (reales) Geld auszugeben. Die magische Verwandlung von virtuellem Wert in reales Geld wird dagegen den Unternehmen vorbehalten bleiben.

Gewissermaßen am Rande des Themas kann man auch noch juristisch-politische Fragen diskutieren, etwa nach einem etwaigen regulatorischen Rahmen. Daß hier die deutsche, aber auch die EU-Politik wieder einmal überzieht und die Einführung der neuen Technik bremst, wird nicht überraschen. So wurde kritisiert, daß bestimmte Monetarisierungsstrukturen der Anbieter gleich eine Nötigung zu einer Bafin-Lizenz zur Folge hätten (und demzufolge die Auswanderung der Firma in ein innovationsfreundlicheres Land nach sich ziehen).

Man kennt solche Fehlentwicklungen aus dem Energiesektor, wo der häusliche Nutzer einer PV-Anlage unversehens zu einem Gewerbetreibenden verfremdet und entsprechend aufwendigen und hinreichend abschreckenden Regularien unterworfen wird. Auch Angelika Gifford, Meta, übte heftige Kritik an der Bürokratisierung auf allen Ebenen und an mangelnden Investitionen. *

Dabei formuliert ihr Buch "Die digitale Dekade" ausdrücklich eine Programmatik, die U. v.d. Leyen namens der EU ausgegeben hatte. Der außenstehende Betrachter, der die Technologieprojekte der EU kennt, wird sich freilich eher an die Zehnjahrespläne in der sozialistischen Planwirtschaft erinnert fühlen, die ja auch unter strikter Wettbewerbsverkennung und -vermeidung Fortschritt herbeizwingen sollten.

Ausstellung und Einstellung

Die Ausstellung setzte einige neue Akzente. Google betrieb eine Kaffeetheke und machte auf dem Boden mit den bekannten Regenbogenfarben des Firmenlogos auf sich aufmerksam. Mit dem "grünen" und rustikalen Look übertrieb man es dann aber doch, nicht nur mit einer unbehandelten Bretterwand an der Theke, sondern einem wie dem Sperrmüll entnommenen Cocktailtischchen, dessen Farbe abgeblättert war. Hat die (schon seinerzeit desaströse) Mode des Dekonstruktivismus denn bis heute überlebt? Vodafone hatte seine Kaffeetheke immerhin in halbwegs realistische Holzpanele eingesetzt, brauchte dann aber auch noch ein Pflanzenbeet, um die obligatorische grüne Gesinnung zu dokumentieren.

Schmerzlich vermißt wurde das IRT, das der bekannten Ignoranz gegenüber neutraler technischer Forschung zum Opfer gefallen ist. Ein wenig Erbe (auch personell) ist zum Glück auf die Bayerische Medientechnik, bmt, übergegangen. Ein veritabler Schock ging von Käfer aus, der die Verpflegung der Teilnehmer zu einer Propagandaschlacht nutzte oder nutzen sollte. Die bisher übliche Wahl zwischen fleischlichen und fleischlosen Speisen war rigoros suspendiert.

Die übrig bleibende Wahl zwischen vegan und vegetarisch kann nicht anders als Verhöhnung des Gastes verstanden werden, wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Eine (ohnehin schon globalisierte) Liberalität wie im Flugverkehr - "chicken or pasta?" - hätte man schon noch erwarten dürfen. Was bis vor kurzem noch ein minimal-esoterisches Marktsegment war, ist nun zum ungeniert monopolistischen, der Klimareligion mühelos angegliederten gastronomischen Imperativ ausgedehnt worden.

Nachdem kirchliche Karenzgebote mit dem Niedergang der Kirchen, auch aufgrund überbordender Konsumimperative, aus der Mode gekommen waren, kehren sie nun, säkular begründet - aber darum natürlich nicht weniger irrational - als beinharte Moraldiktatur zurück. Nach 16 alternativlosen Jahren der einschlägigen Kanzlerschaft haben die Tugendterroristen nun keine Skrupel mehr, gleich die gesamte Mehrheitsgesellschaft wegzuschieben und nur noch die alternativlose Wahl zwischen irrelevanten Minderheitenpromilles übrig zu lassen.

Der Distinktionskonsum verläßt seine Nische, grenzt den Rest des Volkes aus und setzt sich als alleinseligmachend darüber. Kulinarische Cancel-Culture ist etabliert und gekommen, um zu bleiben. Dazu paßt die ganzseitige Liste mit den Zutaten/Spurenelement-Eventualitäten, die sich wie ein Exemplar der allseits über den Internetnutzer schwappenden, endlosen und unlesbaren AGBs ausnimmt. Am Mittwoch wurde u.a. "Marokkanischer Hirtensalat" angeboten, notabene eine ziemlich ungenießbare Angelegenheit. Der Anteil marokkanischer Hirten unter den Medientage-Teilnehmern dürfte überschaubar gewesen sein.

Dem Rest wurde eine Zwangsexotisierung verordnet, die sie zu Fremden im eigenen Land machte. Eine Werbung wie die von XPLR-Media über den Eingangsdrehkreuzen wird - obwohl auch schon "gegendert" - künftig nicht mehr möglich sein. Man wird noch eine Facebook-Gruppe "Rettet den bayerischen Leberkäs!" erleben, und Leberkäs-Junkie Eberhofer/Sebastian Bezzel bekommt keine Auftritte in Metzgereien und Wirtschaften mehr ins Drehbuch geschrieben; diejenigen in den bisherigen Filmen werden mit Trigger-Warnungen versehen und in kulturhistorische Erklärungen eingebettet.

Man fordert so lange Toleranz, bis man sie nach Erhalt in Unduldsamkeit überführen kann. Meinungsfreiheit wurde hierzulande ebenso wenig verinnerlicht wie die Idee der Freiheit überhaupt, die zur Mitte des 19. Jhdts. von John St. Mill programmatisch in den öffentlichen Raum seines Landes geholt wurde, und man geht gewiß nicht fehl, wenn man das Fehlen dieses demokratischen Grundstoffes als einen der Gründe vermutet, deretwegen die Engländer der EU den Rücken gekehrt haben.

Am nächsten Tag war Entwarnung angesagt. Käfer bot ein italienisches Menü mit Tortellini und Pizza in gewohnter Qualität. Das konnte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Messer gewetzt sind. Die Diktatur hat ihre Werkzeuge schon mal eingesetzt. Die allenthalben lancierte Verzichtsideologie steht auf der Agenda und ist dazu bestimmt, den Alltag zu durchdringen.

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