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"Tech is back" - Die IFA 2020 in Berlin und zuhause

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 08.09.2020, 14:39 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 11180x gelesen
Das Plakat der IFA 2020.
Das Plakat der IFA 2020.  Bild: Veranstalter

München [ENA] Unter dieser Überschrift brachte sich Anfang September die IFA in Berlin in Erinnerung, die Publikumsmesse Internationale Funkausstellung, die nun leider ohne Publikum stattfinden mußte. Man wollte aber nicht in der Quarantäne verharren, sondern stellte ein stark reduziertes Programm auf die Beine.

Der Zugang wurde auf Fachbesucher und Presse beschränkt, die Dauer auf drei Tage verkürzt, die Zahl der Aussteller schrumpfte auf 150, Begleitveranstaltungen gab es außer einem Fußballspiel in der Stadt nicht. Nur vier Hallen wurden genutzt, die Zahl der Besucher auf dem Messegelände limitiert, Maske und Abstände waren obligatorisch. Die Pressekonferenzen und die Shift-Tagung in die Virtualität zu übertragen, sollte für eine Medienmesse kein Kraftakt sein, da die meisten Veranstaltungen auch bisher schon aufgezeichnet wurden, wenngleich nur wenige von der Messe selbst.

Die Echtzeitübertragung war aber dann doch eine zusätzliche Herausforderung, und schon die Übermittlung der Zugangsdaten an den aus der Ferne teilnehmenden Journalisten verlief nicht ohne Komplikationen. Den virtuellen Raum nannte man "extended space" und schuf dafür eine monumentale, aber leere Eingangshalle, in der sich der Besucher im VR-Modus bewegen konnte. Dahinter lagen die Präsentationen einzelner Aussteller, die allerdings nichts mit realen Ständen zu tun hatten

Hauptinformationsquelle blieben daher die Pressekonferenzen, von denen aber zeitweise bis zu vier gleichzeitig stattfanden. Dies war bisher auch schon so, doch wenigstens stand die Shift-Tagung für sich am Ende der Messe. Der jetzt nötigen Parallelführung konnte der teilnehmende Journalist entweder durch Nacharbeit der Aufzeichnungen Herr werden, oder er zeichnete gleich selbst auf zwei oder drei verschiedenen Endgeräten auf.

Krise? - Wo ist hier eine Krise?

Daß sich die Technik zurückmelden mußte, scheint nach den Monaten des Ausnahmezustandes verständlich, als die Pandemie alle anderen Gedanken verdrängt hatte. Tatsächlich aber war die Technik nie weg, denn wie die gfu (Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik) als Veranstalter der IFA in der Eröffnungskonferenz darlegte, führte die erzwungene Häuslichkeit zu erstaunlichen Zuwächsen beim Kauf von Hausgeräten, IT-Ausstattung und Unterhaltungselektronik.

Angesichts der nötig gewordenen Videokonferenzen im "Home-Office" bemerkten viele, daß gute Kopfhörer hilfreich wären. Und die Nötigung zu häuslichem Essen und vermehrter Vorratshaltung vermehrte die Zahl von Kühl- und Gefriergeräten, Geschirrspülern und Vakuumierern. Die häusliche Freizeit wurde vermehrt mit der Nutzung von Streamingdiensten gefüllt; 55 % der von der gfu Befragten sind dort abonniert. Die Hausgerätehersteller bestätigten diese Tendenz. Miele meldete 2 % Plus im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Bosch setzte die digitale Vernetzung des Sortimentes fort und erweiterte das hauseigene "Home Connect"-System. Dort ist ein System-Master am Werke und macht den vernetzten Kochtopf Cookit zu einem "food processor". Hinterlegt ist einer solchen Manier assistierten Kochens natürlich auch eine kundige oder bewundernde "community". Nach wie vor ein wenig skurril muten die Versuche an, Notwendigkeiten oder Bedürfnisse für die Fernsteuerung ausschließlich unmittelbar physisch bedienter Geräte zu erfinden.

Erstaunlicherweise werden diese Modellmenschen immer irgendwo anders von jähen Essensverabredungen überrascht und müssen dann aus der Ferne in ihren Kühlschrank schauen können, und während man bisher ein Kochrezept gut im Buch nachlesen konnte, muß es jetzt eine "App" sein, die ein Rezept ausfindig macht und dem Backofen die nötigen Parameter übermittelt. Ein Geschirrspüler war bisher klug genug, mit einem Universal- und einem Sonderprogramm alle Reinigungsbedürfnisse abzudecken. Nun aber darf der Nutzer seine eigenen Reinigungsprofile austüfteln und ebenfalls per App übermitteln.

Da Küchen ja angeblich der neue Lebensmittelpunkt sind, denkt man auch an Schauwerte und inszeniert auch noch den Dunstabzug als Spektakel. Aus einem - natürlich freistehend gedachten - Herd fährt eine Glasplatte heraus, um den Dunst am Weitertreiben zu hindern; "Glassdraft Air" nennt man das. In die Mulde davor wird er eingesaugt. Die Glasplatte ist hübsch illuminiert und umgibt die Essenszubereitung mit einer magischen Aura.

Huawei

Mit Elan führten die asiatischen Hersteller ihre Innovationsstrategien weiter und präsentierten in einigen Produktkategorien achtbare Fortschritte. Besonders ehrgeizig scheint Huawei zu sein, wo man, angesichts des amerikanischen Bannfluches bei der Android-Unterstützung und der vielfachen Vorbehalte gegenüber der Rolle als Netzwerkausrüster, in Europa nicht nur eine Charme-, sondern auch eine Produktoffensive vorträgt. Huawei präsentiert sich mit der Marke Honor - die gewiß nicht zufällig honorig klingt - als Vollsortimenter, der von Smart Watches über Laptops und Smartphones bis zu Hausgeräten alles anbieten kann. "Expand your smart life" lautet demzufolge das Motto.

Mit der intelligenten Armbanduhr Magic Watch 2 GS Pro spricht man sozusagen den Großstadtindianer im Kunden an, der leidenschaftlich "outdoor" unterwegs ist, sich überall orientieren können muß und 25 Tage Batterielaufzeit braucht, weil er dem Wild so lange auflauern oder mehrere Hochgebirgsbesteigungen nacheinander absolvieren muß. Um die Aktivitätsfantasie anzuregen, werden hundert "workout modes" mitgeliefert. Daß die Uhr infolge solcher Fähigkeiten etwas dick ausfällt, kann nicht verwundern.

250 Euro sind ein Kampfpreis für diese Uhr, und die kleinere Fitness-Uhr ES gibt es bereits für ca. 100 Euro. Ihre Batterie soll 10 Tage halten. Als Motivator ist ein "personal virtual coach" verfügbar, der Übungen vormachen kann, und eine "automatic workout recognition" unterstützt den eigenen Bewegungsdrang. Selbstverständlich überwachen u.a. ein "sleep monitor" und ein "stress monitor" wichtige Vitalfaktoren. Diese Uhr zählt man zur "Fitness fashion", also eher zu einer sportlichen Attitüde, als zu eigentlichem Sport und hat dabei offenbar eher eine weibliche Zielgruppe im Kopf. Dazu paßt, daß sie auch zu einem ästhetischen Objekt stilisiert werden kann.

Man kann ihr ein individuelles Aussehen verleihen, mit einem von zweihundert "watch faces", die Huawei im Angebot hat. Darüber hinaus ist ein Design Award ausgeschrieben, der zur Einreichung weiterer Designs aufruft. Die Laptops heißen Magicbook, was wohl ein wenig an Apples Macbook erinnern soll. Auch hier fallen die Preise vergleichsweise moderat aus, reichen von 700 bis 900 Euro. Verbaut wird der Ryzen-Prozessor von AMD. Mit an Bord ist außerdem "immersive Audio", also eine Anwendung der bei Soundbars für Fernseher schon länger üblichen Virtualisierungstechnik für Mehrkanalton.

LG

LG stieg gleich mit dem Hygienethema ein und warb beim Dampfreiniger für Kleidung mit 99,99 % Viruselimination. In die selbe Richtung zielen ein Luftreiniger und eine Wärmebildkamera für die Körpertemperaturmessung. Dem Kleiderkauf übers Internet möchte man mit einer digitalen Erfassung der Körpermaße zur nötigen Präzision (und Verbreitung) verhelfen. Personenerfassung spielt übrigens nun auch im Audiobereich eine Rolle. Man unterstellt, daß sich der Zuhörer nicht immer in der optimalen Hörzone befindet, sondern bewegt, und führt das Klangspektrum gewissermaßen seinen Bewegungen nach.

Hier wird sichtbar, wie die Digitalisierung dem Menschen immer dichter auf die Pelle rückt und alle seine Aktivitäten durchdringt. Dies drückt sich auch programmatisch in der ThinQ-Plattform aus, die als Smart-Home-Konzept das betreute Wohnen propagiert. Sogar eine Concierge taucht als Funktion wieder aus dem 19. Jahrhundert auf. In Südkorea hat LG ein Modellhaus mit maximaler digitaler Infrastruktur und als Nullenergiehaus gebaut, ein lobenswertes Projekt, aber auch ein alter Hut.

Panasonic stattet schon seit Jahren ganze Stadtviertel mit smarter Haustechnik aus, und vor langer Zeit hatte sogar die Deutsche Telekom in Berlin ein solches Haus eingerichtet. Wenn man den LG-Manager vor der Schalttafel seines Hauses sieht, wird man freilich den Verdacht nicht los, daß der Bewohner hier auch noch sein eigener Hausmeister sein oder werden muß. *

TCL

TCLs Slogan lautet: switch on possibility. Dies erinnert deutlich an Huawei, wo es darum geht: make it possible. Stückzahlen und Marktanteile des Unternehmens sind erfreulich, die Geschäfte laufen gut, doch besondere Innovation hat man bisher kaum gesehen. Um die Bildqualität in Fernsehern zu verbessern, ist man beispielsweise auf nichts Intelligenteres verfallen, als die LEDs für die Hintergrundbeleuchtung auf 25.000 zu vermehren. Natürlich hat man auch einen Prozessor mit KI, der sich dann an Objekterkennung in den Bildinhalten versucht.

Die früher schon verschiedentlich in Fernsehern enthaltene Webkamera, die zwischenzeitlich aus Datenschutzgründen verschwunden war, wird von TCL nun versenkbar gebaut, damit keine Beobachtungssituation assoziiert wird. Auch bei TCL glaubt man naturgemäß an das smarte Zuhause und bietet eine entsprechende Vernetzung an. Bei der stilisierten Darstellung einer solchen Haushaltssteuerung fühlt sich der Betrachter allerdings an den Führungsstand im utopischen Film "Metropolis" erinnert. Innovativ wirken nur zwei Projekte, die aber derzeit noch Studien sind

Für Tablettcomputer stellt man sich eine Beschichtung namens NxtPaper wie die E-Ink bei Ebook-Readern vor. Dies hätte zur Folge, daß keine Hintergrundbeleuchtung nötig wäre, sondern reflektiertes natürliches Licht ausreichen würde, ein farbiges und bewegtes Bild wiederzugeben. Der Vorteil der Stromersparnis liegt auf der Hand, doch ob Auflösung und Reaktionsgeschwindigkeit wirklich zufrieden stellen können, wäre nur durch Augenschein zu prüfen. Das Projekt Archery setzt ein älteres Konzept fort, die nicht zu Unrecht fallen gelassene Google Glass. TCLs Videobrille profitiert jetzt von den Fortschritten der Miniaturisierung und hat doch ehrlicherweise größere Ausmaße und eine robustere Form als Googles filigranes Gestell.

Samsung

Samsung hat nun im zweiten Anlauf das faltbare Smartphone in der Fertigung offenbar im Griff. Die Mikro-LED-Technik bleibt vorerst ein elitäres Nischenthema. Neu angekündigt ist ein Kurzdistanzprojektor, der ebenfalls sehr große Bilddiagonalen ermöglicht, aber sehr viel weniger Leuchtkraft entfalten kann. Nachdem das Produktsegment der LCD-Fernseher nun mit 4 k durchdrungen ist, dient 8 k als neues Distinktionsmerkmal. Dort hat man auch die Spielwiese für die KI in hochgezüchteten Prozessoren, Details zu erfinden, weil aus Mangel an nativem Material ja praktisch alles hochgerechnet werden muß.

Resümee

Das Resümee von Messeleitung und Teilnehmer über die IFA 2020 fällt ambivalent aus. Einerseits ist man froh, überhaupt eine hybride Veranstaltung zu Stande gebracht und den virtuellen Teilnehmern ein bescheidenes Maß an Information zugänglich gemacht zu haben. Andererseits war diese IFA selbstredend nur ein Schatten ihrer selbst, ein dünner Extrakt ohne Kraft und Überzeugungskraft. Es war real und virtuell die Simulation einer Messe. Niemand weiß das besser als die Messeleitung selbst, die deshalb bereits in der Abschlußpressekonferenz verkündete, daß man 2021 wieder in vollem Ausmaß antreten werde.

Daß dafür auch bereits mehr als 60 % der Ausstellungsfläche gebucht sind, zeigt das immense Interesse der Aussteller, wieder physisch präsent zu sein und das Publikum unmittelbar zu begeistern. Allerdings könnte der Rückblick auf diese "Special Edition", wie sie von der Messeleitung euphemistisch oder sarkastisch genannt wurde, und ihr Vergleich mit dem normalen Messeablauf auch ein wenig zum Nachdenken stimmen. Die vorgetragenen Innovationen waren oft genug nur marginale Details oder Originalitätssüchteleien, eine hektische Hetze nach ein paar Pixeln mehr.

Angesichts globaler Herausforderungen auf viel basalerem Niveau und der Besinnung im erzwungenen Hausarrest - neudeutsch: Lock down -, was denn im Leben wirklich wichtig wäre, kann der in den reicheren Ländern zelebrierte Konsumnarzißmus auch ein wenig vermessen anmuten. Natürlich muß die Messe verkaufen; die Messe ist immer schon ihre eigene Message. Und natürlich ist die Wirtschaft auf Konsum angewiesen, und natürlich erweitert der moderne Mensch mit vielen dieser Dinge seine Möglichkeiten.

Gelegentlich darf man aber doch denken, daß zwischen 4 und 8 k nicht das Heil der Welt liegt, der Griff zum Lichtschalter keine menschenunwürdige Handlung ist und die fortwährende Kommandierung einer digitalen Kammerzofe im eigenen Charakter vielleicht ungute Herrschaftsattüden weckt. Und vielleicht ist es auch ganz gut, wenn nichts nach außen dringt, was in den eigenen vier Wänden geschieht.

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