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Social TV Summit und Connect! The Future of TV 2021

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 29.06.2021, 17:15 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 9217x gelesen
Die Kategorien beim Connect-Smart TV Award, der bei den Medientagen verliehen wird.
Die Kategorien beim Connect-Smart TV Award, der bei den Medientagen verliehen wird.  Bild: Veranstalter

München [ENA] Im Wochenabstand präsentierte die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, BLM, Ende Juni zwei seit Jahren eingeführte Veranstaltungsformate, den 10. Social TV Summit und die 6. Ausgabe von "Connect! The Future of TV", beide wiederum nur virtuell und im Umfang stark reduziert.

Obwohl beide Formate unabhängig von einander entstanden sind, liegt es nunmehr nahe, sie mit einander zu vergleichen, denn einst hielt man "Social-TV" für die Zukunft des Fernsehens. Mittlerweile haben sich dort die Gewichte allerdings verschoben, so daß man heute eher sagen würde, Fernsehen sei die Vergangenheit von Bewegtbild auf Internetplattformen (wie man "Social-TV" etwas treffender umschreiben müßte). Insofern war es bezeichnend, daß die Hälfte der Veranstaltung ein Plauderstündchen mit Rezo und anschließender Diskussion war. Verschoben hat sich auch die Wahrnehmung und Sprachregelung im medialen Diskurs.

Daß ein Protagonist der 'Szene' wie Rezo ungeniert und nicht diffamierend als "Influencer" tituliert wird, während ein Lobbyist in der Politik, der ebendort ebenfalls Influencer ist, argwöhnisch betrachtet und in einem einschlägigen Register geführt wird, verdankt sich offenbar dem euphemistischen Anglizismus. In wessen Interesse beeinflußt der Beeinflusser welche beeinflußbaren Leute, und weshalb sind sie beeinflußbar?

Im traditionellen Pressewesen spräche man von einem Meinungsmacher - und wüßte sofort, daß hier eine (vorgefaßte oder institutionell gefaßte) Meinung am Werke ist, die man nicht unbedingt ernst nehmen oder für richtig halten muß. Auf den Diskursplattformen des Internets weiß man, daß an Meinungen kein Mangel ist, sondern es ungefähr soviele Meinungen wie Nutzer gibt. In diesem buchstäblich demokratischen Diskurs versuchen die traditionellen Medien auch noch sichtbar zu bleiben oder zu werden und werden daran gemessen, ob und in wie weit sie die Anforderungen der neuen Medien erfüllen.

In der Konferenz gaben hierzu Felix Dachsel, Chefredakteur bei VICE Media, und Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales bei tagesschau.de, Auskunft. Die Rahmenbedingungen sind bekannt: man will und muß einerseits auf den neuen Distributionskanälen vorkommen, schon wegen der nachwachsenden Zielgruppe, und darf andererseits den jeweiligen "Markenkern", im Falle der Tagesschau selbstverständlich die Seriosität, nicht beschädigen.

Die soziologisch-demographischen Details des Medienwandels reichte in der zweiten Hälfte der Veranstaltung Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Goldmedia, mit der von der BLM beauftragten Studie Online-Video-Monitor 2021 nach. Die Werbewirtschaft und die Publizistik folgt den Nutzerzahlen und dem Progressivitätsimage der jeweiligen Plattform. So gilt jetzt beispielsweise Instagram anbieterseitig als meistverwendete Video-Plattform, nachdem Facebook aufgrund des Zuzugs der älteren Jahrgänge nun zum alten Eisen gehört.

Entsprechend rückt nun die Teenager-Albernheit Tiktok allmählich ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wurde von Goldhammer einer eigenen Betrachtung für wert befunden. "TIKTOKER sind in kürzester Zeit zu Top Video-Influencern aufgestiegen", lautete sein Ergebnis. Zwei andere Ergebnisse haben ebenfals Sarkasmus-Potenzial. Die Zunahme von Live-Angeboten führt offenbar direkt zu jenem verachteten linearen Fernsehen zurück, als dessen Antithese sich Bewegtbildangebote im Netz ja bisher verstanden haben.

Unter den Anbietern herrscht die Sorge über die "Intransparenz des Algorithmus". Dahinter steht nichts anderes als die Ohnmacht der Teilnehmer und Inhalteproduzenten gegenüber der regulativen Macht der Plattformen selbst. Der Ruf nach "mehr Regulierung" ist natürlich sehr deutsch, hat stets einen ordnungspolitisch handlungsfähigen und vermeintlich neutralen Staat im Hinterkopf - und ignoriert wie dieser die Marktrealität. Man hat aber mittlerweile gelernt, sich in der Servilität und Inferiorität einzurichten.

Connect! The Future of TV

Auch das Smart-TV sollte einmal die Zukunft des Fernsehens sein, doch der Untertitel der heurigen Konferenz "Connect! The Future of TV" präzisierte in wünschenswerter Deutlichkeit, daß es um "Perspektiven für Advanced TV Advertising" geht. Zum Glück ging es nicht nur darum, sondern auch um die sinnvolle Frage: "Was wollen wir morgen sehen?" Als formal innovativ wurde das Instagram-Projekt ichbinsophiescholl von SWR und BR zitiert, das die Entwicklung der Studentin Scholl zur Widerstandskämpferin anhand auch ihrer Tagebuchaufzeichnungen über zehn Monate hinweg, also gewissermaßen simulierter Echtzeit, nachzeichnete.

Ulrich Herrmann, Projektverantwortlicher beim SWR, mußte auf Nachfrage allerdings zugeben, daß ein ähnlich überzeugendes Nachfolgeprojekt bisher nicht in Sicht sei. Ein wenig fühlt man sich hier an O. Welles' epochemachendes Hörspiel über eine angebliche Invasion vom Mars erinnert, das nur einmal funktionierte. Die Aktualitätsillusion/-simulation verblaßt notwendigerweise. Daß es hierzulande an Identifikationsfiguren und positiven geschichtlichen Narrativen fehlt, setzt dem kreativen Umgang mit den digitalen Echtzeitmedien enge Grenzen.

Die demographisch-soziologischen Daten lieferte in dieser Konferenz die alljährliche Deloitte-Studie Media Consumer Survey 2021, vorgetragen von Klaus Böhm. Er konstatierte, wenig überraschend, eine weitere Zunahme nichtlinearer Angebote und Nutzung. Die Angebote differenzieren sich ihrerseits weiter und wachsen dabei auch, allerdings altersabhängig unterschiedlich. Die Zahlungsbereitschaft für kostenpflichte Abrufinhalte habe sich erhöht, so daß mittlerweile drei Viertel der deutschen Haushalte ein entsprechendes Abo haben.

Die Nutzung dieses kostenpflichtigen Streamings konzentriert sich jedoch bei den 20-45jährigen, während die Älteren bei den kostenfreien Mediatheken zuhause sind. Eine weitere, neue Distributionsform hätte zwar schon eine beträchtliche Nachfrage, trifft jedoch auf träge und zögerliche Anbieter. Werbefinanziertes VoD (AVoD) würden die Hälfte bis zwei Drittel der Zuschauer nutzen, aber angeboten wird es noch kaum. Es steckt, wie Böhm sagte, "noch weitgehend in den Kinderschuhen".

Die Marktdifferenzierung führt unvermeidlich zu einer zunehmenden Unübersichtlichkeit, nicht nur für die Anbieter, sondern mehr noch für den Konsumenten, der mit Abos und Zugangskonditionen jonglieren muß. Die dort gewünschte oder benötigte Orientierungshilfe leisten tendenziell Super-Aggregatoren, wie Böhm sie nennt, also Unternehmen mit Kundenzugang, die Drittangebote bündeln und im Paket vermarkten. Das ist betriebswirtschaftlich nicht neu, kann für den Nutzer im Einzelfall auch sinnvoll sein, könnte aber auch die Sorgen um die Netzneutralität wieder aufflammen lassen, wenn Netzanbieter durch "Zero-Rate"-Konzepte Diskriminierung ausüben.

Die Connect-Konferenz verstand sich als "Preview", weil man auf den Medientagen im Oktober nachlegen will, möglichst hybrid, also auch mit einer Präsenzveranstaltung. Dort wird dann auch die Preisverleihung für den "Connect-Smart TV Award" stattfinden, dessen Einreichungsfrist noch bis Ende August dauert.

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