Münchner Medientage 2019 – Politik und digitale Macht
München [ENA] „NEXT DIGITAL LEVEL – Let’s build the Media we want!“ lautete das Motto der 33. Medientage 2019, die wieder im vertrauten Umfeld des ICM der Neuen Messe Riem in München stattfanden. Der Aufruf zur Gestaltung sollte konstruktiv klingen, ist aber in dieser Allgemeinheit banal.
Wer ist dieses „wir“ im digitalen Zeitalter, muß man fragen, und stößt sehr bald auf eine recht undurchdringliche und undurchsichtige Fraktion von Akteuren, deren Vorgaben (und AGBs) den Medienalltag der Nutzer bestimmen. Das obige Motto könnte man also, etwas weniger freundlich, so präzisieren: Ihr habt die Medien, die ihr verdient – oder: die ihr euch leisten wollt. Einschlägige Mißverhältnisse sind hier zu bemerken und werden auch jedes Jahr fortgeschrieben: die Gebühr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht zu Recht unter hohem Rechtfertigungsdruck und muß wirksam begrenzt werden.
doch auf der anderen Seite wuchern die Streaming-Dienste mit ihren Monatsgebühren, und „für Inhalte zu bezahlen, wird normal“, wie auf dem MEK-Media-Panel in der Hoffnung auf Selbsterfüllung prophezeiht wurde. Qualitätsjournalismus kostet Geld, auf Papier und digital, doch dort gilt Bezahlen nicht als normal, und wenn sich ein Großteil des Publikums deshalb aus kostenlosen Quellen der ‚sozialen Netzwerke‘ informiert, wundert man sich, daß Desinformation die Folge ist. Die Vervielfachung der Information führt nicht automatisch zu besserem Wissen, sondern macht die zu besserem Wissen verhelfende Information schwerer auffindbar.
Die Vervielfachung der Kommunikation führt nicht automatisch zu besserem gegenseitigem Verständnis, sondern macht offenbar auch soziale Differenzen deutlicher. Dem entsprechend hatten viele Veranstaltungen gesellschaftspolitische Themen zum Anlaß, während klassische technische Fragestellungen an den Rand gedrängt schienen. VR fand nurmehr in der begleitenden Ausstellung und dort als Immersive Media Day statt. Zu dem die Grundlage der künftigen mobilen Digitalkommunikation bildenden 5G-Netz gab es eine einzige, kleine Diskussion.
Digitale Souveränität?
Allerdings steht auch die früher sehr ausgeprägte nationale Medienperspektive im Rahmen des „Dualen Systems“ und dem unaufhörlichen Ringen um den jeweiligen Medienstaatsvertrag nicht mehr im Zentrum, weil die grenzenlosen Datenströme solche, Besitzstand sichernde Regulierung unterlaufen. Auch die (Landes-)Politiker sehen mittlerweile, daß die „Staatsvertragsmäanderei“, wie Dr. Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, sie nannte, nicht mehr zeitgemäß, sondern eher anachronistisch ist.
Sein Geständnis, daß er einst schon in anderer Funktion an der Einführung einer elektronischen Akte in Ministerien fast gescheitert sei, ist freilich kein Trost, denn was sollen wir davon halten, wenn nicht einmal Politiker, die doch die Lebensverhältnisse verbessern oder wenigstens nicht verschlechtern sollen, zu politischer Einwirkung nicht mehr fähig sind? Weichen richtig zu stellen, ist eine Sache, die richtigen Weichen zu stellen aber eine andere. Dies machte Söder mit einem spektakulären Projekt unfreiwillig deutlich, der Ankündigung, in Bayern hundert KI-Lehrstühle einrichten zu wollen.
Gemessen am Durchschnitt der Länder, d.h. an ihrem durchschnittlichen Desinteresse, ist dies eine heroische Pioniertat, getrieben von der richtigen Einsicht in die Zukunftsbedeutung dieser Technik. Doch was sind hundert Wissenschaftler an bayerischen Universitäten gegen zehntausende von Technikern in den Laboren der Firmen in Kalifornien und China, die ihr kulturelles und gesellschaftliches Selbstverständnis in Produkte gießen und über die Welt verbreiten? So lange keine hinreichende wirtschaftliche Basis für die ökonomische Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse vorhanden ist, wird auch die versammelte Klugheit deutscher Professoren nichts ändern.
Auch Söder weiß, daß wir hierzulande im wesentlichen eine digitale Kolonie sind, doch glaubt er immerhin, daß wir es nicht unbedingt sollten bleiben wollen. Regulierung kann hier allenfalls aufschiebende Wirkung entfalten und trifft oft nicht einmal die Richtigen, wie man an der DSVGO zeigen könnte. Diese ist bestenfalls ein defensives Instrument, mit dem man vom fehlenden Besitz eigener Waffen ablenken will. Daß es entscheidend wäre, eigene Infrastrukturen zu schaffen, betonte in der Gipfel-Diskussion auch Ulrich Wilhelm, BR-Intendant, der ja seit Jahren für eine europäische Inhalteplattform kämpft.
Conrad Albert, Pro7Sat1, dessen Unternehmen ja auch schon einige ausländische Investoren/Teilhaber gesehen hat, sprach von „digitaler Landesverteidigung“, um den imperialen Hintergrund der digitalen Globalisierung ins Bewußtsein zu rücken. Mit den Mitteln seiner Sendergruppe versucht er gerade, Joyn als europäische, beteiligungsoffene Plattform aufzubauen. *
Daß die kalifornischen Plattformen undemokratisch sind, wie Albert sagte, traf sich genau mit der Beschreibung von Zeynep Tufekci, die als Technologie-Soziologin an der University of North Carolina von „autoritären Infrastrukturen“ sprach. Solche amerikanische Kritik am amerikanischen Techno-Imperialismus tat der europäischen Seele natürlich wohl, und deshalb hatte man sie wohl eingeladen. Aber solche Kritik bleibt auch in den USA marginal, so lange mit diesen autoritären Infrastrukturen so viel Geld verdient wird (und China hat mit autoritären Strukturen ohnehin kein Problem).
Man wird selbstverständlich niemanden aus der Branche finden, der diese Herrschaftsverhältnisse beim Namen nennt. Statt dessen wird immer nur von Kundenorientierung die Rede sein. Google schwang sich diesmal immerhin zu einem eigenen kleinen Stand auf, und Stephan Micklitz sprach in einem ebenso kleinen Referat zu nichts Aufregenderem als zu den Datenschutzeinstellungen (die der Nutzer ja in regelmäßigen Abständen abnicken muß), dem Data Transfer Project und dem Inkognito-Modus bei der Google-Maps-Nutzung.
Von der marktbeherrschenden Stellung in vielen Bereichen, die ja auch zu mehreren kostenpflichtigen Abmahnungen der EU geführt hat, und der nun bis in die Grundlagenforschung vordringenden Dominanz – gerade während der Medientage wurde Googles Durchbruch beim Quantencomputer verkündet -, war nicht die Rede. Im digitalen Alltag ist man versucht, Google für eine etwas förmlich agierende Gouvernante – die ungefähr wie Mary Poppins vom Himmel herabschwebt – zu halten, die unwissenden Kindern die Welt erklären will und mit Ermahnungen nervt.