
Münchner Kreis Zukunftsstudie IX: Deep-Tech-Manifest

München [ENA] Daß der MÜNCHNER KREIS diese neunte Zukunftsstudie als Deep-Tech-Manifest deklarierte, hat seinen Grund. Zu wichtig sind die jetzt für die Zukunft erwarteten Veränderungen, Verwerfungen, Disruptionen, als daß man es mit einer bloßen Kenntnisnahme belassen könnte.
Mit dem Namen beginnen freilich auch schon Schwierigkeiten. Ein neuer, magisch aufgeladener Begriff, sozusagen potenzierte Technik, für eine Gesellschaft, die ohnehin schon weg von der Technik und zurück zur Natur will. Ist nicht schon Deep Learning unvorstellbar, das die KI zu ihren unerklärlichen, unnachvollziehbaren und unheimlichen Intelligenzleistungen befähigt? Die Rede ist auch von Deep Science, womit nicht-digitale, bahnbrechende Innovationen wie Nanotechnologie, Biotechnologie oder Robotik gemeint sind. Und manchem wird der Deep State einfallen, jener Staat im Staate, mit dem verschwörungstheoretisch obskure politische Machenschaften gemeint sind, oder vielleicht auch der "allmächtige Staat", vor dem einst L. von Mises gewarnt hat.
Und auch das Titelbild ist eine höchst ambivalente Visualisierung. Ein Eisberg, eine Technik, die nur zum kleinen Teil sichtbar, deren größter Teil aber verborgen ist, signalisiert Gefahr, und es ist ebenjener Eisberg, der einst die Titanic in Stücke und in den Untergang gerissen hat. Untergangspropheten und Katastrophensüchtige gibt es hierzulande zuhauf, und sie werden in Deep Tech ein dankbares neues Feindbild finden.
Auch in etwas milderer Diktion wird man Kritik üben und eine neue Ausgeburt des "Solutionismus" erkennen und ächten. Technik darf keine Lösung sein, wenn man weltanschauliche Bekehrungen und Reuebekundungen im Sinne hat, zu einer Postwachstumsgesellschaft und Postmaterialismus, zur Entschleunigung, zu einer postkapitalistischen Wirtschaft, zur Bio-Landwirtschaft u. ä.
Insofern möchte man den Autoren der Studie gewissermaßen den Mut und den Eifer der Verzweiflung attestieren, mit soviel Sachverstand, Fleiß und Leidenschaft den vorliegenden "Weckruf für einen schlummernden Riesen" verfaßt zu haben, von dem sie ahnen mögen, an wievielen tauben Ohren er vorbeigehen wird. Man darf auch keineswegs sicher sein, daß es sich um einen schlummernden Riesen handele. Es könnte sich eher um einen eingeschläferten Riesen handeln, der in der Narkose einiger regressiver infantiler Träume liegt.
Der Widerstand gegen die Moderne und ihre (technischen) Errungenschaften hat hierzulande eine lange und starke Tradition und notabene sogar eine einschlägige Partei in die Regierung gebracht, die dort ihre genuine Technikaversion mit großer Effektivität und Zerstörungskraft ausüben konnte. Man darf aber auch in anderer Hinsicht nicht sicher sein, daß es sich um einen schlummernden Riesen handele, da Programm und Praxis der Selbstverzwergung doch schon so lange im Gange sind. Wenn man schon einen Vergleich zwischen den USA und Deutschland im Auge hätte, müßte man eher fragen: was kann der Frosch vom Wal lernen? Es genügt ja ein Blick auf einige Kennzahlen zum Wirtschaftswachstum.
Fata Morgana der Zukunft
Daß sich solche Prosperität anderwärts dem Willen zur Gestaltung der Zukunft verdankt, ist offensichtlich, vor allem im Vergleich zur hiesigen Gesellschaft, die Zukunft ersichtlich nicht mehr gestalten will, sondern fürchtet, den Bestand erhalten will und mit "Rückbau" den früheren Ausgriff sühnen zu müssen glaubt. Von Zukunft redet gern derjenige, der sie nicht als selbstverständlichen täglichen Handlungsraum in sich trägt, sondern als Projekt von außen wahrnimmt. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist der Name des Veranstaltungsortes.
Früher hieß der Ausläufer des Deutschen Museums zur Ludwigsbrücke hin "Forum der Technik", weil Technik selbstverständlich war. Jetzt heißt er "Forum der Zukunft" - als ob dabei nicht auch Technik, zumal Deep Tech, eine Rolle spielen müßte. "Zukunft" ist so schön unkonkret, jedenfalls nichts, woran man arbeiten könnte und wozu man sich bekennen müßte, und im gleichen Geiste baute sich die Berliner Republik in ihrer Hauptstadt ein "Futurium" als eine Art Fata Morgana der Zukunft.
Die technikignorante Politik durfte davon unbehelligt weitergehen, und wer in München aus dem Fenster schaute, sah die seit fünf Jahren dort installierte Baustelle, auf der es scheinbar um die Sanierung der Ludwigsbrücke ging, viel mehr aber um die Beseitigung der Hälfte der Fahrspuren auf dieser Brücke, um den Stau dort verdoppeln zu können. Wenn also Ressourcenvernichtung das erklärte politische Programm ist, braucht es gewiß auch keine vertiefte und disruptive Technik, um der Zukunft gewachsen zu sein, denn ebendies meint Deep Tech, eine "disruptive Innovation, die die Lebensweise der Menschen verändert." Wenn man Zukunft nicht als Erweiterung von Handlungsräumen begreifen und ergreifen will, hat man eben auch keine.
Es ist nie zu spät, Chancen zu versäumen
Die Studie trägt großenteils Versäumnisse, Rückstände, Widerstände und Mängel zusammen und bemüht sich dennoch, nicht ganz pessimistisch zu schließen, nach dem Sprichwort: die Hoffnung stirbt zuletzt. In diesem Falle müßte man allerdings präzisieren: die Bürokratie stirbt zuletzt. Erst wenn die zu verwaltenden Güter und Leistungen zu Grunde gerichtet sind, wird es vielleicht ein Innehalten und Umdenken geben. In diesem Sinne äußerte sich u.a. Ingobert Veith von Huawei, der realistisch einschätzte, daß derzeit Leidensdruck und Not noch nicht groß genug seien, um die notwendigen Veränderungen anzustoßen.
Seinem sarkastischen Plädoyer "never waste a good crisis" kann man sich nur anschließen. Abgesehen davon, daß keineswegs sicher ist, ob nicht diese Krise auch noch verbummelt wird, möchte man vielleicht auch wissen, weshalb es solche Krisen braucht, weil das politische Personal über Jahrzehnte hinweg mangels Sachverstand nicht in der Lage ist, die Weichen richtig zu stellen und Mittel strategisch vernünftig einzusetzen. Allein schon die Geschichte des Unternehmens Huawei, 1987 gegründet und heute ein Weltkonzern, müßte bestürzen, wenn man sie in das deutsche Umfeld projiziert und sich klar macht, weshalb etwas Ähnliches hierzulande unmöglich hätte stattfinden können.
Soeben wird zelebriert, wie falsche Weichenstellungen vor sich gehen können, mit dem verweigerten (Staats-)Kredit an den Flugzeugpionier Lilium, der dieses innovative Unternehmen vor der Insolvenz oder der Übernahme durch einen ausländischen Investor bewahren könnte. Im diesem Falle ging es um 50 Mio. €, die nicht bewilligt wurden, doch für die Rettung der Meyer-Werft waren 2,6 Mrd. da. Davon hätte der Lilium-Gründer Daniel Wiegand aus erster Hand berichten können, wenn er nicht genau aus diesem Grunde verhindert gewesen wäre.
Seine Diagnose in der Studie ist deutlich genug: "In Deutschland fehlt ein gesellschaftlicher Konsens darüber, wohin wir uns entwickeln wollen". Man will nicht wahrhaben, daß staatliche Souveränität und gesellschaftliche Stabilität "Technologieführerschaft und wirtschaftliche Stärke erfordert, die wiederum Unternehmertum, Innovation und Investitionen voraussetzen." Oder noch simpler formuliert: man müßte eingesehen haben, daß Geld erwirtschaftet werden muß und nicht nur verteilt oder (als "Sondervermögen") erfunden werden kann.
Wiegand benennt noch einen anderen, sozusagen nur technischen, nämlich finanztechnischen Grund, weshalb Deep-Tech-Innovation in Europa nicht stattfindet: "weil es in Europa keine Börse gibt, die den Anforderungen von Deep Tech Unternehmen gerecht wird. Die deutsche Börse und andere europäische Handelsplätze bieten nicht die nötige Unterstützung für hochinnovative Unternehmen in den späteren Finanzierungsphasen." Deshalb ging er zur NASDAQ.
Schrecknis Risiko
Zu den fundamentalen Hemmnissen für Innovationen im Allgemeinen und Deep-Tech im Besonderen gehört in Europa und in Deutschland im Besonderen zweifellos eine verzerrte Risikowahrnehmung. Man glaubt, sich mit Hilfe des "Vorsorgeprinzips" grundsätzlich von Risiken schützen zu müssen und zu können, und will nicht wahrhaben, daß man sich damit auch vom Nutzen dieser Risiken abschneidet. In der Corona-Zeit wurde dies überdeutlich, als man die Unterschiedlichkeit der Risiken strikt leugnete und statt dessen egalitaristisch das ganze Land und seine Wirtschaft platt gemacht hat.
Eine politische Aufarbeitung dieser gravierenden Fehleinschätzungen steht jedoch bis heute aus, d.h. man will auch im Nachhinein nicht aus den Fehlern lernen und seine Haltung ändern. Die Scheu vor Risiko betrifft nicht nur die Technologie im engeren Sinne, das bei Gentechnik, Kernfusion, KI u.ä. naturgemäß nur ansatzweise eingeschätzt werden kann. Sie erstreckt sich auch auf das Implementierungswerkzeug für dieses Risiko, das Risikokapital. Es fehlt generell in Europa, obwohl Kapital als solches durchaus vorhanden wäre. Doch einschlägige Akteure scheuen "größere Investitionen aufgrund unattraktiver Rahmenbedingungen und fehlendem Vertrauen in das Potenzial des deutschen Marktes." (Wiegand)
Fazit
Die Zukunftsstudie IX ist wahrlich keine Gute-Nacht-Lektüre, eher ein bedrückender, Trauer auslösender Traum, aus dem noch kein erleichtertes Erwachen gefolgt ist. Daß der Deutsche Michel immer schon mit Schlafmütze dargestellt wurde, kann da kein Trost sein. Im Biedermeier ging dieser Schlaf nicht an die Existenz, doch in der heutigen räuberischen Zeit sollte man schon mehr als den Nachttopf als Waffe haben.
Wer die Gelegenheit hat, ein Druckexemplar der Studie zu ergattern, sollte dies unbedingt tun, um die buchstäblich schwer wiegenden Argumente in der Hand zu halten. Das Buch ist luxuriös designt und trotzdem nachhaltig produziert. Da streicht man über die glatten Seiten und möchte der Zukunft zurufen: "fühlt sich gut an!"