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Mobilitätswende und Digitalisierung - ein Erfolgsduo?

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 07.05.2024, 15:12 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 7054x gelesen
Vision städtischen Verkehrs, wie ihn sich die Deutschen vorstellen: ausreichende Verkehrsfläche mit etwas Alibi-Grün
Vision städtischen Verkehrs, wie ihn sich die Deutschen vorstellen: ausreichende Verkehrsfläche mit etwas Alibi-Grün  Bild: H. Krcmar, all-electronics, Dall-E

München [ENA] Unter dem Titel „Wie kann die Digitalisierung der Mobilitätswende einen Schub geben?“ griff der MÜNCHNER KREIS in einem Symposium Ende April 2024 einige aktuelle Fragen der Transformation des Verkehrssektors auf, bei der die Digitalisierung Fortschritt und Effizienzgewinn liefern soll.

Allerding müßten die Fragen schon viel früher beginnen, bei der Prüfung dessen, was und wozu eine Mobilitätswende überhaupt sein soll. Seit der als "Wende" bezeichneten Wiedervereinigung Deutschlands hat man sich angewöhnt, allerlei weitere Umstürze als Wenden zu bezeichnen, eine Energie- und Wärmewende, eine Verkehrs- oder Mobilitätswende, eine Finanzwende, eine Ernährungs- und Agrarwende u.a., und jeweils etwas Positives assoziieren zu wollen.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes, daß sie allesamt auf Infrastrukturzerstörungen hinauslaufen, und selbst die originäre, erste Wende hätten die im Osten Betroffenen vermutlich auch schon als Infrastrukturzerstörung zumindest empfunden. Wenn neuerdings auch noch eine "Wirtschaftswende" gefordert wird, beißt sich die Katze offensichtlich bereits in den Schwanz, denn damit sollen ebendie Schäden behoben werden, die von den anderen "Wenden" angerichtet werden.

Mobilität ist mehr als Bewegung

Auch die im Einleitungsvortrag von Ludwig M. Haas, BearingPoint, zitierten verkehrsplanerischen Grundsätze „Verbessern – Verlagern – Vermeiden" müßten realistischerweise in den Klartext von "Verweigern - Verhindern - Verbieten" übersetzt werden, denn nichts anderes findet zumindest im innerstädtischen Bereich seit Jahrzehnten statt und ist nicht nur "Ein mögliches Zielbild für die Mobilitätswende", wie Haas' Referat lautete, sondern das tatsächliche.

Prof. Dr. Helmut Krcmar, TUM, erinnerte an die bereits 2017 vorgestellte Studie "Mobilität. Erfüllung.System", in der die Problemfelder mit der Perspektive auf 2025ff noch vergleichsweise rational angegangen werden konnten. Heutzutage hat sich die gesellschaftlich-politische Perspektive jedoch zum erklärten Krieg gegen das Automobil verengt, der die Multidimensionalität des Verkehrs ignoriert. "Mobilität ist mehr als Bewegung", betonte Krcmar.

Sie werde vom Arbeitsmarkt, von sozialen Teilhabebedürfnissen, von der vorhandenen Infrastruktur, der Kostenstruktur und vielen anderen Faktoren beeinflußt, in jedem Falle aber von dem Nutzen getrieben, den sie erbringt. Sie verdrängen zu wollen - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne -, würde Lebensmöglichkeiten vernichten. Man könnte auch sagen: Sinn und Zweck des Verkehrs ist der Verkehr - und nicht seine Negation.

Die von Krcmar in diesem Zusammenhang angeführte Digitale Spaltung als ernsthaftes Teilhabeproblem in der Gesellschaft läßt sich übrigens auch als Mobilitätsspaltung wiederfinden, wenngleich Nutznießer und Benachteiligte dabei nicht so eindeutig unterscheidbar sind. Benachteiligt werden tendenziell alle, jedenfalls alle, die sich Freiheit, Flexibilität und Komfort nicht mit Geld erkaufen können - für einen fortschrittlichen, autonomienahen PKW, für ein Taxi, für eine Flugreise.

Mißwirtschaft als Normalzustand

Erfreulich konkret und realistisch wurde bei der Darlegung der Hindernisse und Versäumnisse der Verkehrspolitik Dr. Klaus Radermacher, KRBE, der zumal die Digitalisierung im Mobilitätsumfeld weniger als Hoffnungsträger denn als Millionengrab analysierte. Passend zum Kongreß konnte er die Leidensgeschichte seiner Anfahrt vom Flughafen zum BayWa-Gebäude als Zeugnis struktureller Unfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs schildern, eine Anfahrt, die länger als der Flug von Köln nach München dauerte. Einen Münchner überrascht dieses Mißverhältnis natürlich überhaupt nicht; etwas anderes ist gar nicht zu erwarten.

Radermacher warnte zurecht vor der Illusion, die Digitalisierung beliebiger Einzelprozesse, etwa von Hinweistafeln oder Signalen, könne substanzielle Gewinne an Effizienz und Zuverlässigkeit erbringen. In der Regel werden lediglich systemische Defizite prolongiert und bestenfalls mit einem schicken Layout dekoriert. Mit viel Geld wird eine vermeintlich moderne Oberfläche hergestellt, unter der aber die ineffizienten Prozesse weiter modern. Teuer und nutzlos, lautete Radermachers Urteil, das er u.a. mit einer beispielhaft mißglückten bahntechnischen Innovation in NRW zwischen Kleve und Kempen illustrierte.

Bereits das Kriterium Effizienz ist ein hochexplosiver Sprengstoff, den man am liebsten im Keim ersticken möchte, denn sie bedeutet u.a. "Gleiche Verkehrsleistung bei geringeren Kosten" oder "Gleiche Verkehrsleistung bei geringerem Ressourceneinsatz" - oder auch mehr Verkehrsleistung zu gleichen Kosten. Daß man Verkehr überhaupt effizient abwickeln will, ist aber seit langem nicht mehr selbstverständlich. Radermacher verwies auf die kontraproduktiven neu installierten Bus- und Fahrradspuren, auf denen sichtbar viel weniger Verkehrsleistung stattfindet, als wenn sie Autospuren geblieben wären.

Obwohl die Zulassungszahlen für PKWs nach wie vor steigen - und die Führerscheinerwerbe übrigens auch -, haben die Städte seit Jahrzehnten nichts Besseres zu tun, als fortwährend Verkehrsfläche und Verkehrszeit (durch unnötige oder falsch konfigurierte Ampeln sowie durch Stau) zu vernichten, Straßen und Kreuzungen zu strangulieren und die Verkehrsteilnehmer gegen einander aufzuhetzen.

Der Verkehr wird durch obstruktive Regulierung gezwungen, zu den schlechtest möglichen Bedingungen stattzufinden, was dann vermittels entsprechend schlechter Emissionswerte einen neuen Vorwand liefert, noch mehr Obstruktion einzusetzen, so daß die Obstrukteure einen sich selbst verstärkenden Regelkreis (aufrecht)erhalten. Daß der beste Verkehr ein flüssiger Verkehr ist, wird systematisch geleugnet und verhindert. Wenn das Ziel zumindest der innerstädtischen Verkehrspolitik aber die Verhinderung von Verkehrsflüssen, statt ihre Ermöglichung ist, wie allenthalben zu beobachten, leistet die Digitalisierung dabei keinen guten Beitrag.

Während der zunehmend autonome Verkehr einen Großteil der bisherigen Regulierung, die per se pauschal, ignorant, ineffizient und ungerecht ist, überflüssig machen müßte, drängt der bisherige und künftige Regulator, von der EU-Gesetzgebung bis zur Kommune, noch darauf, die zu Obstruktionszwecken mittlerweile angehäuften Regularien nicht nur begründungslos fortzuführen, sondern auf technischem Wege obligatorisch zu machen.

Statt sich die dezentrale Intelligenz und Flexibilität eines Individualverkehrsmittels zunutze zu machen, das ,mit zunehmender Autonomisierung das Ideal eines sich selbst organisierenden Verkehrs erreichen kann, werden seine Vorteile systematisch untergraben, ohne daß es eine auch nur annähernd gleichwertige Alternative gäbe. Im Gegenteil ist der öffentliche Nah- und Fernverkehr in der Entwicklung autonomer Steuerung viel weiter im Rückstand, obwohl er mit den eigenen Trassen sehr viel bessere Voraussetzungen gehabt hätte.

Daß der ÖPNV mit seiner mühlsteinschweren Bürde der Dienstleistungseigenschaft - die schon jetzt aufgrund von Kosten, Organisationshypertrophie, Personalmangel, Streiks u.ä. kaum mehr stabil zu halten ist - nur eine Überlebenschance hat, wenn er sein Angebot der optimalen Topologie des Individualverkehrs annähert, haben nur wenige weitsichtige Verkehrsplaner verstanden.

Umfrageergebnisse

In diese Richtung gingen übrigens auch die Ergebnisse der vorab unternommenen Umfrage unter den Teilnehmern, die hier vorgestellt wurden. Für die Wahl des Verkehrsmittels sind die wichtigsten Anforderungen die einfache Nutzung & Flexibilität, aber auch Sicherheitsaspekte. Wichtige Effizienzgewinne erwartet man sich von der Vernetzung von Mobilitätsangeboten, wie sie digitale Mobilitätsplattformen bieten sollen. In welcher Trägerschaft diese stehen sollen, ist aber völlig offen, und schon Topologie, geschweige Verantwortungs- und Haftungsrisiken eines solchen multimodalen Betriebs sind noch undefiniert.

Auch hier schlagen selbstredend die jahrzehntelangen Versäumnisse der öffentlichen Verwaltung bei der Digitalisierung zu Buche, wie bei der Einführung des 9- und des jetzigen 49-Euro-Tickets bewußt wurde. Die einfache Handhabung, die ein notwendiges, aber beileibe noch kein zureichendes Erfolgskriterium ist und die eben seit Jahrzehnten von den Verkehrsverbünden versäumt wurde, wird im Hintergrund allerdings mit Unfinanzierbarkeit erkauft, die nur wieder die systembedingte Ineffizienz des Kollektivverkehrs wiederspiegelt.

Wenn ein wesentlicher Teil eines multimodalen System, etwa die Bahn, nichts außer Verspätungen und Ausfälle garantieren kann, braucht man auch kein multimodales System; dann kann man nur schauen, wo man bleibt. Eine Mobilitätsplattform könnte sich auch insofern als düsteres Luftschloß erweisen, wenn weiterhin die Kommune als Eigentümerin und Sachwalterin des ÖPNV eigene ökonomische Interessen verfolgt und zugleich gesetzgebende Instanz für allen übrigen Verkehre sein darf, also die Konkurrenz der Verkehrsträger stets unfair zu gestalten weiß.

Da macht sich der Täter, der fortwährend neue Restriktionen implementiert, die Konkurrenten benachteiligt und sich selbst immer mehr Privilegien anmaßt, auch noch zum Richter. Am Ende soll die seit mehr als einem Jahrhundert erfolgreiche Demokratisierung der Mobilität, der selbstbestimmte Individualverkehr, rückgängig gemacht werden und nur noch eine neofeudale Ständegesellschaft aus Privilegierten und Almosenempfängern übrig bleiben.

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