Media meets SMART HOME - eine aktuelle Bestandsaufnahme
München [ENA] Lieber guter Nikolaus, schenk' mir doch ein smartes Haus! So war wohl die Fachkonferenz im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München gedacht, auf der am Nikolaustag auch ein leibhaftiger Nikolaus die Besucher begrüßte - mit Schokoladennikoläusen. *
Ein wirkliches smartes Haus wäre jedoch, wie die Teilnehmer bald erfuhren, eine umfangreiche und kostspielige Investition. Sicher war es kein Zufall, daß das MedienNetzwerk Bayern mitsamt der BLM, dem Bayerischen Rundfunk und dem Bauzentrum München die Konferenz im Haus der Bayerischen Wirtschaft ansiedelte; das heimische Handwerk wäre zweifellos für einen entsprechenden Umsatzimpuls dankbar. Eine Wachstumsprognose von 15-30 % wurde in den Raum gestellt, und sogar die Kanzlerin wurde mit der ihr ungefähr 30 Jahre nach Formulierung zugetragenen Einsicht zitiert, daß alles Digitalisierbare auch digitalisiert werde.
Was und wer treibt das Smart Home voran?
Ebenfalls dicht am Zeitgeist argumentierte Dr. Chr. Prechtl, stellv. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, mit seiner Forderung nach der "digitalen Souveränität" als Bildungsziel. Allerdings zielt das smarte Zuhause genau in die entgegengesetzte Richtung, will seinen Bewohner Stück für Stück der Souveränität entkleiden. Man muß den Konferenzveranstaltern jedoch zu Gute halten, daß sie das Thema in einem breiten Spektrum von Perspektiven und Bewertungen - Ablehnung, Skepsis, Duldung, Indifferenz, Erprobungsbereitschaft und euphorische Installationsexzesse - ansiedelten und ein umfassendes Bild vermittelten.
Schon der einleitende Fachvortrag von Christiane Varga vom Zukunftsinstitut Wien trat einige Schritte von der hektischen Innovationsspirale der Technik zurück und fragte nach den soziologischen Faktoren des Wohnens. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich die Formen des Wohnens erheblich geändert und ändern sich gerade wieder durch neue Modelle für Arbeit und zwischenmenschliche Beziehungen. Der Schritt von der Topologie zur Typologie des Wohnens wird in der Soziologie leichtfüßig unternommen, geht aber auch gerne über Fragen der Wertung und der Sinnhaftigkeit hinweg.
"Das Medium der Zukunft ist da, wo man es braucht", lautete eine gängige Feststellung, die aber eine versteckte normative Komponente enthält: das Medium der Zukunft soll dort sein, wo man es braucht. Flugs entsteht so ein Mobilitätsimperativ für jedes Medium und ein vermeintlich naturhaftes Einsatzgebiet für Sprachassistenten. Tatsächlich aber ist eine mobile Mediennutzung auch zuhause kein Grundbedürfnis, sondern wird umgekehrt erst durch Implementierung der Medien in mobile Geräte geschaffen.
Auch die Tendenz, Gerätschaften in der Wohnung zu verstecken, neudeutsch "Shy Tech", ist nicht unbedingt ein Ausweis höherer Wohnkultur, vor allem nicht, wenn die Möbel dann in einem derart heuchlerischen Retro-Design daherkommen, wie Varga sie in einigen Beispielen zeigte. Solche Technik ist ja nicht wirklich "schüchtern", sondern im Hintergrund durchdringend und ausgreifend und vereinigt die Eigenschaften Penetranz und Intransparenz. Wehe, wenn ein Gast einmal das Licht sollte ein- oder ausschalten oder geheime Tabukommandos gegenüber dem Sprachassistenten vermeiden müssen. Varga stand sogar mit dem Etikett "Smart Being" bereit, was nichts anderes bedeuten kann, als daß man hier ein neues anthropologisches Paradigma vermuten müßte.
Smart Being im Ernstfall
Wie dieses im Detail aussehen könnte, führte Marco Maas von einer Firma mit dem programmatischen Namen Datenfreunde anhand von teils skurrilen, teils gruseligen Beispielen aus dem eigenen, unerschrocken digitalen Leben vor. Mit Autonomie und Lebenserleichterung hat die vollinstrumentierte Wohnung kaum etwas zu tun. "Demütig vor dem Gerät" stand Maas immer wieder, wenn irgend ein IoT-Schnickschnack in der Beta-Phase nicht funktionieren wollte.
Gleichwohl propagierte er, daß eine solche Wohnung nach Datenerfassung des Verhaltens ihres Benutzers ein Profil bilden und diesen mit all seinen Absichten immer besser kennen lernen sollte. Dazu gehört selbstverständlich auch, daß Amazon Echo Benutzer anhand eines Stimmprofils identifizieren kann und verhaltenssensibel wird. Die Konfigurationsaufgaben vervielfachen sich jedoch mit der Anzahl der Bewohner. Daß der Besitzer die Lebensabschnittsbegleitung aus der Ferne leicht überwachen kann, wenn die Wohnung über Kameras und Bewegungsmelder verfügt, liegt auf der Hand.
Maas stand freilich auch schon vor der Aufforderung, das Nutzerprofil einer sensorgespickten Bettunterlage nach Wechsel der Lebensabschnittsbegleiterin löschen zu sollen, d.h. diese Partnerin löschen zu sollen. Er brauchte auch nicht nur die Einzelprofile der Wohnungsnutzer, sondern zusätzlich ein Kombinationsprofil, etwa für ein "Kompromißlicht". Denkt man sich Kinder dazu, entstehen mathematisch mehrere Kombinationsmöglichkeiten, und um das Kind ggf. am Hacken einiger von ihm als nachteilig empfundener Nutzungseinschränkungen zu hindern, wird der Hausherr sicherheitstechnisch aufrüsten müssen.
Auch an anderer Stelle können unvermutet Probleme auftauchen. Externe Medien können die Bewohner eines smarten Zuhauses nicht mehr ohne weiteres erreichen, weil dieses Zuhause alles vorfiltert. Im Zweifelsfall nimmt diese Filterung ein von niemandem durchschauter Algorithmus vor. Gleichwohl müsse man, so Maas, von einer weiteren Ausbreitung vor allem der Sprachassistenten ausgehen, vor allem, weil Ikea angekündigt habe, im kommenden Jahr solche Assistenten in einige Möbel gleich einzubauen. Derartige Installationen würden künftig als Steigerung des Wohnwertes wahrgenommen.
"Architektur ist die räumliche Form des Zeitgeistes" (Mies)
Daß der Wohnwert jederzeit und für jedermann steige, wagte der österreichische Architekt und Wohn- & Architekturpsychologe Dipl. Ing. Harald Deinsberger-Deinsweger zu bezweifeln. Seine schlichte Frage "Was macht das Smart Home mit uns und unserem Zuhause?" erhielt nicht nur die gängigen system- und innovationsaffirmativen Antworten, sondern blickte gewissermaßen auch auf die Nachtseite der Hausautomation. Nur technikaffine Personen seien in der Lage, der neuen Technik einen Kontrollgewinn und eine Aufwandsersparnis abzuringen. Den anderen werde ein Kontrollverlust, verbunden mit Hilflosigkeit und Streß, und ein Mehraufwand beschert.
Das Bedürfnis nach einem unbeobachteten, intimen Lebensraum könne durch Überwachungstechnik untergraben werden, und ein Smart Home tendiere ohnehin per definitionem zu einer Abschottung von der Außenwelt. Durch markante Sicherheitstechnik könne sogar ein Gefühl der Unsicherheit geschaffen werden - eben dadurch, daß mögliche Gefahren durch Technik vorweggenommen und präsent gemacht/gehalten werden. Deinsberger-Deinsweger formulierte angesichts derartiger Wechselwirkungen den unmißverständlichen Imperativ: dem Nutzer/Bewohner die Kontrolle zurückgeben!
Offensichtlich gründet das Mißverständnis zwischen Befürwortern und Gegnern der Hausautomation im Doppelsinn von "Kontrolle". Kontrolle kann "Selbermachen" heißen, aber auch "an Technik Delegieren". Etwas neuerdings technisch (fern)steuern zu können, heißt eben immer auch, es steuern/installieren/konfigurieren zu müssen. Fürs Erste hält immerhin die Kostspieligkeit der Hausautomation und der in der Branche selbstgefällig gepflegte Wildwuchs an Normen den Massenmarkt draußen. Yasmin Richwien von der Beratungsfirma Mücke, Sturm & Company bezifferte den Anteil des Interesses an Haustechnik auf weniger als 25 %.
Nur wenn man die allgegenwärtigen, um nicht zu sagen unvermeidlichen Smart-TV-Geräte dem Smart Home zuschlägt, kommt man auf einen vermeintlich gut entwickelten Markt. Ohne einschlägige Propaganda wird es also nicht gehen, und dafür setzt Gaby Miketta, Chefredakteurin bei Burda Home, den Slogan "Klüger Wohnen" ein. Dies schließt offenkundig nahtlos an "Schöner Wohnen" an und setzt wie dieses eine gut betuchte Klientel voraus. Es gibt im Print-Angebot auch schon die Spezialzeitschrift "Sense of Home", die sich an die technikaffinen jüngeren Gutverdiener richtet.
Ein verräterisch kurzer Weg geht von "sense" zu "sensor". Man mag den Eindruck haben, demnächst werde sich das Niveau einer Wohnung an der Anzahl ihrer Sensoren bemessen, und Sinnerfüllung des Lebens werde durch Sensorbestückung seines Vollzugs ersetzt. Für viele Zeitgenossen, die in den Großstädten keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden, könnte das smarte Heim ohnehin eine hypothetische Antwort auf eine falsche Frage sein: was nützt es, verbessern zu wollen, wie man wohnt, wenn man nicht mehr davon ausgehen kann, daß man überhaupt noch wohnen darf.
Das Kino kommt nach Hause
Den Abschluß der anregenden Fachkonferenz bildete freilich eine verblüffende und originelle Geschäftsidee vom Rande des klügeren Wohnens. Murat Mermer stellte die noch im Aufbau befindliche "Cinehood" vor (so auch der Firmenname). Es ist ein Konzept, die durch Besucherschwund geplagten Kinobetreiber ein wenig zu entschädigen. Dafür wird die Karenzfrist aktueller Kinofilme ausgenützt, d.h. die Zeit ihrer exklusiven Vermarktung im Kino.
Wenn die Leute schon nicht mehr ins Kino gehen wollen, sollen sie zuhause die aktuellen Filme per Streaming sehen können. Vom Mietpreis erhält der Kinobesitzer des nächstgelegenen Kinos - in das der Zuschauer sonst vermutlich gegangen wäre - den größten Teil. Außerdem bekommt er nützliche Nutzungsdaten und kann Filme auch dann noch online anbieten, wenn sie aus seinem Haus bereits verschwunden sind. Hier wird also der Rückzug der Medienkonsumenten ins eigene Haus und die durch immer größere Fernsehbildschirme verschaffte Kinoähnlichkeit bei der Rezeption kreativ beantwortet.