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IFA 2019 in Berlin – Weisse Ware

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 17.09.2019, 14:08 Uhr
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So inszeniert man heute Küchenarbeit: Grünzeug bei Bosch
So inszeniert man heute Küchenarbeit: Grünzeug bei Bosch  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] „Wir sind mit den Ergebnissen der IFA 2019 zufrieden. Entsprechend blickt die Hausgeräteindustrie optimistisch in die Zukunft. Die IFA hat auch in diesem Jahr ihre Stellung als weltweit größte Messe auch für Home Appliances gestärkt und einen positiven Beitrag zur Marktentwicklung geleistet“.

So resümierte Dr. Reinhard Zinkann, ZVEI-Fachverband Elektrohausgeräte und Miele-Geschäftsführer, die IFA. Die Hersteller der Weißen Ware betonen seit längerem schon nicht mehr technische Aspekte ihrer Geräte, sondern stellen auf Gesundheit und Ressourcenschonung ab. Kocheinrichtungen sollen maximale Flexibilität und Bequemlichkeit bei der Essenszubereitung bieten, Kühlgeräte bestmögliche Lebensmittellagerung und Verderbnisvermeidung, für die Textilpflege braucht es hochgerüstete und vernetzte Waschmaschinen und Trockner. Die Wohnungspflege besorgen Saugroboter oder Fensterreinigungsautomaten.

Wer selbst Hand anlegen will, greift bevorzugt zu einem Akkustaubsauger. LG baut ein Kombigerät, das sehr martialisch aussieht, aber auch noch zur nassen Bodenpflege benutzt werden kann. Die riesigen, mehrflügeligen Kühlschränke mit großem LCD-Bildschirm in der Türe reichen offenbar auch nicht mehr aus; LG propagiert akkubetriebene Kühlwürfel für Getränke, die so funktionsintransparent gestaltet sind, daß man sie als Möbel ins Wohn- oder Schlafzimmer stellen kann. Ansonsten fallen bei den asiatischen Herstellern die Luftreinigungsgeräte auf, die man dort offenbar für ein unverzichtbares Lebensstilaccessoire hält.

Dem Diktat der formellen Kleidung verdankt sich eine Art Dampfbügler für hängende Textilien, der Hemden und Anzüge wieder in knitterfreie Form bringt. LG dringt aber noch weiter in die persönliche Lebensgestaltung vor und demonstrierte in einem „Future Talk“, wie eine entsprechend intelligente Kamera den Hausherrn so präzise in seinen Körpermaßen erfassen und zu einem Avatar abstrahieren kann, daß er danach paßgenaue Kleidungsstücke bestellen kann.

Bei Haier baut man Kühlkombinationen jetzt dreiteilig, oben zwei Türen, unten zwei Türen und in der Mitte eine Schublade für 0 Grad zum schonenden Auftauen oder Einfrieren. Grundig legt Wert darauf, wiederaufbereitetes Plastik in die Herstellung von Waschmaschinen einzubeziehen und fühlt sich „committed to our planet“. Philips will bekanntlich „make life better“ und entwickelt im Rahmen des Geschäftsbereiches ‚Personal Health‘ die traditionelle Rasiererexpertise zu „guided shave“ weiter. Man braucht allen Ernstes KI, um die Haut beim Rasieren richtig behandeln zu können.

Strategien der deutschen Hersteller

Die deutschen Hersteller adressieren aufgrund ihrer Hochpreisstrategie einen gehobenen Lebensstil, der bei Siemens ‚metropolitan lifestyle‘ genannt wird und zumal von den notorischen ‚early adopters‘ gepflegt wird. Dort vermutet man auch eine Affinität zur ‚smarten‘ Unterstützung, wie sie in immer mehr Geräten Einzug hält. Der Komfortgewinn, den der Nutzer durch die Heimvernetzung erzielt, fällt im Haushalt, wo man ja stets mit unmittelbar greifbaren, physischen Objekten zu tun hat, freilich bestenfalls bescheiden aus. Siemens etwa demonstrierte, wie man mit einem Befehl an die Abhörwanze Alexa die Backofentüre ferngesteuert öffnen lassen kann – obwohl man ja ohnehin hingehen muß, um den Braten herauszuholen.

Miele überträgt per hitzebeständiger Kamera HD-Bilder aus dem Backofen und bemerkt per ‚Motion react‘ sogar die Annäherung des Nutzers an den Herd, der daraufhin abgeschaltet wird. Der Sprachassistent der Telekom, der ‚Magenta Speaker‘, kann sich mit einer Kaffeemaschine von Siemens ins Benehmen setzen und – gute Aussprache vorausgesetzt – eine Tasse Kaffee in Auftrag geben. Bosch findet, daß Dunstabzugshauben die Optik der Küche stören könnten, und kann sie deshalb bei Bedarf in der abgehängten Zimmerdecke verschwinden lassen.

Miele hat sich für die Haube Aura 4.0 etwas Besonderes einfallen lassen. Sie sieht wie eine Lampe aus, verbreitet ‚Ambient Light‘, sorgt für gesunde Entfeuchtung der Luft und kann sogar noch drei verschiedene Duftnoten im Raum verteilen. Solche Entwicklungen haben wohl Mieles aktuellen Slogan motiviert: „Innovation wird zur Faszination“. Bosch hinterlegt die Kühlintelligenz seiner Kältemaschinen mit dem sozial wohlgefälligen Versprechen, der Lebensmittelverderbnis und Lebensmittelverschwendung entgegen zu treten und gar noch einer ‚klimabewußten‘ Ernährung den Weg zu bereiten.

Flugs wird die Vita-Fresh-Technik (0 Grad) mit einem ‚Zero Waste Movement‘ in Verbindung gebracht, das den Slogan „Zero is hero“ propagiert. Gleichzeitig findet man einen Großraumkühlschrank mit 619 l Inhalt im Angebot, dessen Terminverwaltung (der Ablaufdaten) sicherlich keine leichte Herausforderung für den Besitzer darstellen wird. Das heutige Marketing hat also keine Mühe damit, (vermeintliche) Ressourcenschonung mit einem materiell expansiven und luxuriösen Lebensstil in Einklang zu bringen, und so soll es ja in einer Wachstumsgesellschaft auch sein.

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