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Die Zukunft von Bewegtbild - Medientage Special 2024

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 09.05.2024, 15:25 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 5869x gelesen
Niedliche Infantilismen im Oberlicht des Tagungsortes
Niedliche Infantilismen im Oberlicht des Tagungsortes "House of Communication".  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] Die Auf- und Ablösung des linearen Fernsehens setzt sich fort. Diese Tendenz begleitet die Future-Video-Konferenz, ein Special der Münchner Medientage, schon länger. Daß sich damit auch die Kräfteverhältnisse im Medienmarkt allmählich verschieben, liegt auf der Hand.

Welches Hauen und Stechen auf diesem Markt, auf dem Wege vom Medieninhalt zum Zuschauer, tatsächlich herrscht und wie weit diese kruden Wildwest-Manieren von deutschen ordnungspolitischen Vorstellungen eines fairen Wettbewerbs entfernt sind, erläuterte zu Beginn Dirk Wittenborg, Gründer und Präsident von Foxxum und rlaxx TV und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Mission 1 Joint Venture Alliance.

Die amerikanische Sicht

Daß er auch Firmenvertreter war, für die unabhängigen Fernsehbetriebssystemhersteller sprach und am Ende seiner Analyse die messerscharfe Erkenntnis stand, daß die unabhängigen Fernsehbetriebssystemhersteller die Gewinner im Krieg der Betriebssysteme wären, war weniger verwunderlich als die Analyse selbst nützlich. Die Triebkraft hinter der Internetanbindung der Fernseher - früher "Rückkanal", dann "Smart-TV", jetzt "Connected-TV" oder CTV - enthüllte er ungeniert: als Zugang, um nicht zu sagen: Einfallstor, um das Bewußtsein des Konsumenten zu steuern.

Es gehe nämlich um die drei wertvollsten Mediennutzungsstunden des Tages, auf die 700 Mrd. $ Werbegelder lauern. Daß um dieses Einfallstor auch mit technischen Mitteln gekämpft werden müsse, obwohl es ja eigentlich nur um den Transport einiger Mbit/s geht, dessentwegen im Internet niemand einen Krieg entfachen würde, gehört zu den Bizarrerien dieses Marktes. Jedenfalls sei das um diesen Transport herum entwickelte Fernseherbetriebssystem zum Schlüsselfaktor bei der Produktdifferenzierung geworden, und Roku habe darin ein Meisterstück geliefert.

In die vergleichsweise rationalen Verhältnisse des Internets übersetzt, hieße das wohl, daß man den Erfolg eines Inhalteanbieters (vermöge der Hilfe des Betriebssystemherstellers) daran messen könne, wie sehr er die Browsereinstellungen für Auswahl und Wiedergabe im Sinne des Anbieters zu deformieren und manipulieren verstünde. Jeder halbwegs wache Internetnutzer würde daraufhin seine Browsereinstellungen selbst konfigurieren oder einen anderen Browser nehmen. Und er würde achselzuckend kommentieren: wenn der Bewegtbildmarkt solche Methoden erlaube, seien die Nutzer eben selbst schuld.

Dies bestätigt auch eine andere Feststellung Wittenborgs. Moderne Fernseher gelten als nicht verkäuflich, wenn sie - abgesehen von der vermeintlich unerläßlichen Netzanbindung - nicht auch noch "Apps" und Fernbedienungstasten für die gängigen Inhalteanbieter mitbrächten. Das ist offensichtlich ein Übergriff auf das neutrale Wiedergabegerät Fernseher und seine Fernbedienung. Für einen klassischen Fernsehzuschauer wäre eine solche Ausstattung im Gegenteil der Grund, ein solches Gerät nicht zu kaufen.

Bezeichnenderweise erwartete Wittenborg das allmähliche Absterben der DVB-Welt, wie er sie nannte, d.h. jener bewunderswert rationalen Normenarchitektur europäischer und deutscher Herkunft, in der digitales Fernsehen stattfindet. Bereits abgestorben schien demzufolge jener deutsche "Gateway"-Vorschlag namens HbbTV, der DVB-konform ebenfalls den Weg ins Internet bahnen sollte. Davon war erst gar nicht keine Rede mehr.

Die europäische Sicht

Und auch das, womit man diesen Weg doch noch mit europäischen Mitteln herstellen möchte, war auf der Konferenz eine in die Nische verlagerte Masterclass. Die bmt, Bayerische Medientechnik, stellte DVB-I vor, "ein einheitliches TV- und Streaming-Erlebnis für alle Bildschirme", wobei das "I" laut ETSI für Internet steht. Im Detail wurden die strategischen und programmiertechnischen Bemühungen um gerechte Ressourcenverteilung, Neutralität, Transparenz und Nutzungsflexibilität vorgeführt. Man sei ausdrücklich am "public value" orientiert, wie das neudeutsch heißt und mit "öffentlichem Gut" etwas holperig übersetzt wird. Im Wesentlichen geht es um die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten.

Normierung und Einführung sind schon länger im Gange, bisher aber öffentlich kaum sichtbar geworden. Der DVB Lenkungsausschuß genehmigte die DVB-I-Spezifikation im November 2019. Ein Jahr später wurde der Standard bei ETSI verabschiedet. Auf der IBC 2022 wurde ein Prototyp gezeigt. Im März des Vorjahres wurde der hierzulande der Proof of concept geliefert, seit vorigen September läuft die zweite Projektphase - außer in Deutschland noch in Italien. Bis Ende dieses Jahres möchte man an einem Runden Tisch alle Projektteilnehmer beschlußfähig versammelt haben und danach mit der Markteinführung beginnen.

Man wird dann eine blitzblanke technische Architektur haben - und darauf angewiesen sein, daß Hard- und Software der Empfangsgeräte diesen Metadaten-Layer, den DVB-I darstellt, auch auswerten und umsetzen können. Es geht hier gerade nicht um eine von außen gelenkte Auswahl von Inhalten durch den Nutzer, sondern darum, diesem Nutzer die heterogenen Welten von Fernsehen per DVB und Internet (per HTML, IP) quasi barrierefrei für seine Suche zugänglich zu machen. Schon innerhalb von DVB war bisher eine übertragungswegübergreifende Suche nicht möglich, obwohl die meisten Empfangsgeräte inzwischen vier Empfangswege unterstützen: DVB-S/C/T2 und IP.

Natürlich werden die fast durchgehend nicht europäischen Gerätehersteller von der jetzigen Praxis der durchgereichten Fremdbestimmung nicht mehr abgehen, weil sie auf das Bestechungsgeld der Inhalteanbieter angewiesen sind. Von Toshiba etwa kolportiert man das Eingeständnis, daß mit dem Geräteverkauf allein kein Gewinn mehr zu machen sei. Unter den Projektbeteiligten bei DVB-I wiederum fehlt bezeichnenderweise Samsung. Man möchte sich offenbar nicht kannibalisieren, da man doch schon ein eigenes Betriebssystem hat.

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