ChatGPT und die Zukunft kreativer Textarbeit
München [ENA] Die zweite Konferenz des Münchner Kreises über das große Sprachmodell chatGPT Ende Juni 2023 stellte die kreative Textarbeit in den Mittelpunkt, also die eigentliche Domäne dieser KI. Zur Beurteilung zog man auch eine "echte" Autorin, die Literaturwissenschaftlerin Jenifer Becker (Hildesheim) heran.
Ihre Auskunft über die "Bedingungen kreativen Schreibens" betraf allerdings nur die menschlich-personale Autorschaft, die für die Arbeitsweise einer KI ja nirgends verbindlich zu sein braucht. Da wir aber nicht im Detail wissen, wie Open-AI GPT programmiert/konfiguriert hat und man dort vielleicht selbst nicht weiß, über welche Stationen welches Ergebnis zustande kommt, ist der Vergleich mit der menschlichen Produktionsweise unergiebig. Und selbst innerhalb der menschlichen Literatur(geschichte) gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Autor und seiner Rolle.
Die hierzulande immer noch vorherrschende "Genieästhetik" entstand in der Goethe-Zeit und verdrängte vorangegangene Regelpoetiken - im 18. Jahrhundert Gottsched, in gewisser Weise aber auch noch sein Überwinder Lessing, und man könnte weiter bis zu Hans Sachs ins 16. Jahrhundert zurückgehen. In angelsächsischen Ländern ist die Rhetoriktradition jedoch nie abgerissen, so daß man dort bis heute an den Universitäten Kurse für "kreatives Schreiben" findet, weil es für lehrbar gilt. Dort ist eine textproduzierende KI offenkundig mühelos anschlußfähig.
Geschichte algorithmischer und aleatorischer Kreativität
Auch der Rückgriff auf die Geschichte der Algorithmisierung der Kunst hilft in der aktuellen Konstellation, eine ungewohnt mächtig werdende KI bewältigen zu müssen, nicht viel weiter. Nils Reiter, Professor für Digital Humanities und Computerlinguistik an der Universität zu Köln, zitierte hierzu für die Musik Johann Philipp Kirnbergers Anleitung "Der allezeit fertige Polonaisen- und Menuettencomponist" von 1767, die aus vorgefertigten Sequenzbausteinen die genannten Formen zu erwürfeln erlaubt. In diesem Zusammenhang wäre zu ergänzen, daß auch der spielaffine Mozart zwei solche Anleitungen zur spielerischen Anfertigung musikalischer Massenware geschrieben hat:
die 'Anleitung Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren' und das Musikalische Würfelspiel, KV 516f. Die ersten stochastischen Texte stammten hierzulande von 1959, mit Material aus Kafkas 'Schloß' angefertigt von Theo Lutz auf einer Z 22 - abgesehen von theoretischen Vorläufern aus dem 17. Jahrhundert. Solche Ideen und Ansätze belegen nur, daß in jeder Kunstgattung immer auch der Gedanke an die Klärung der eigenen Werkzeuge und Strategien präsent war.
Ist die KI justiziabel?
Das Urheberrecht - ein Kriterium, das hier leicht ins Auge fällt - hilft dabei freilich auch nicht weiter, wie das Referat der Juristin Dr. Henriette Picot zeigte. Das ist auch nicht verwunderlich, denn das Recht kodifiziert und konserviert immer nur den Bestand und kann künftige Entwicklungen und Entitäten nicht vorwegnehmen. So wird der Jurist mit dem Urheberrechtsproblem der KI mühelos mit einem Satz fertig: als Urheber kommt nur ein Mensch in Frage; also gilt die KI nicht als Urheber.
Daneben gibt es freilich eine Grauzone von Aneignung und Zitaterlaubnis, wie man sie auch schon lange aus Plagiatsprozessen kennt, die gegen die KI inzwischen auch schon angestrengt werden. Aber dieses juristische Tagesgeschäft beantwortet natürlich nicht die Frage, weshalb das Lernen einer KI aus dem Bestand nicht dem (als ehrenwert geltenden) Lernen eines Menschen bis zur künstlerischen Reife (aus einem sehr viel kleineren Bestand) gleichgestellt werden sollte.
Domestikation
Vielleicht sollte man den jetzt anstehenden und durch die Emergenz der KI hervorgerufenen kulturellen Entwicklungsschritt mit dem kulturgeschichtlich bedeutsamen Akt der Domestikation von Haus- und Nutztieren vergleichen. Den Wolf zum Hund zu zähmen und den Auerochsen zum nutzbringenden Hausrind umzubauen hat die menschliche Kultur offenbar tiefgreifend verändert. Die KI wird mindestens die Rolle eines neuen Haustieres einnehmen.
Vielleicht kann man sie mit dem Butler für den wohlhabenden englischen Gentleman vergleichen, der jetzt demokratisiert wird (ähnlich wie die früher an Reittierbesitz gebundene individuelle Mobilität durch die Automobilität demokratisiert wurde). Die Rolle des Butlers zeigt allerdings auch, daß man selbst schon ein gewisses Niveau haben muß, um einen Butler überhaupt adäquat beschäftigen zu können. ***