Freitag, 13.09.2024 22:40 Uhr

Kinderarbeit in Deutschland

Verantwortlicher Autor: Kurt Lehberger Frankfurt am Main, 04.08.2024, 15:34 Uhr
Fachartikel: +++ Politik +++ Bericht 5259x gelesen
Kinderarbeitsreport 2024 von Terre des Hommes Deutschland e.V. im Bücherregal
Kinderarbeitsreport 2024 von Terre des Hommes Deutschland e.V. im Bücherregal  Bild: Kurt Lehberger

Frankfurt am Main [ENA] In diesem Jahr beleuchtet die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes die Kinderarbeit in Deutschland. Kinderarbeit in Deutschland? Gibt es die überhaupt? Dazu folgen in diesem Artikel einige kommentierte Auszüge aus dem Kinderarbeitsreport 2024 von Terre des Hommes.

Artikel 32 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen garantiert das Recht des Kindes „vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die Gefahren mit sich bringen, die Erziehung des Kindes behindern oder die Gesundheit des Kindes oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung schädigen.“ Die Kinderrechtskonvention gilt für alle Kinder und Jugendlichen, die jünger als 18 Jahre alt sind. Deutschland trat der Konvention 1992 bei und hat alle drei Zusatzprotokolle ratifiziert.

Dem Kinderrechtsartikel der UN liegt ein ganzheitliches Verständnis von Arbeit bei Kindern zugrunde. Dazu zählen alle Tätigkeiten von Kindern, beispielsweise Hilfe im Haushalt, landwirtschaftliches Arbeiten im Familienbetrieb, Tätigkeiten auf der Straße sowie selbstständige Arbeit, Lohnarbeit als auch unbezahlte Arbeit. Die Studie zeigt zwei neue Arbeitsfelder von Kindern auf. Das Pflegen von Angehörigen und die Mitarbeit bei den Familien-Influencer*innen. Das Pflegen von Angehörigen kann problematisch sein, wenn die Kinderschutzrechte verletzt werden.

Die Kinderarbeit bei den Familien-Influencer*innen ist noch nicht ausreichend untersucht. Es geht um das Arbeitsfeld von Familien-Influencern*innen, die in den sozialen Medien viel Geld verdienen und den eigenen Kindern große Risiken aussetzen. Die Studienleitung hat mehrere Workshops durchgeführt, in denen die Kinder zu Wort kommen. 37 Mädchen und Jungen im Alter von 12 bis 18 Jahren wurden nach ihren Erfahrungen mit Arbeit gefragt. Sie berichten von den positiven Seiten der Arbeit und zeigen auch Risiken auf, die damit verbunden sind. Sie geben Empfehlungen und wünschen sich z. B. mehr Kindergeld, mehr Lohn. besseren Nahverkehr, mehr Unterstützung fachlicher Art, mehr Wertschätzung, späterer Schulbeginn und vieles mehr.

Die Kinder und Jugendlichen kommen zu Wort – ihre Statements sind auf Seite 23 im Bericht zu lesen. Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz konnten in 12 Fällen erkannt werden. 7 Fälle in familiären Betrieben (Gastronomie) und 4 Fälle zu Hause bei pflegenden Kindern und Jugendlichen von Familienangehörigen. Die Stundenzahl überstieg in allen Fällen die gesetzliche zulässige Vorgabe. Das Jugendarbeitsschutzgesetz regelt die Arbeit von Kindern und Jugendlichen. Das Gesetz listet Tätigkeiten auf wie Zeitungen austragen, im Haushalt oder in der Landwirtschaft helfen oder Babysitten.

Solche Arbeiten dürfen Kinder zwischen 13 und 15 Jahren allerdings höchsten zwei Stunden pro Tag, in landwirtschaftlichen Familienbetrieben drei Stunden pro Tag verrichten und höchstens an fünf Tagen der Woche zwischen 8 und 18 Uhr. Vollzeitschulpflichtige Jugendliche ab 15 Jahren dürfen während der Schulferien für höchstens vier Wochen im Kalenderjahr arbeiten. Das Bundesfamilienministerium schätzt, dass rund 480.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland Angehörige pflegen, die chronisch körperlich oder psychisch krank sind oder eine Behinderung haben. Pflegende Angehörige mit einem Alter von unter 18 Jahren übernehmen vielfältige Aufgaben, in der Regel, was erwachsene pflegende Angehörige auch tun.

Sie helfen im Haushalt, bei der (Fort-)Bewegung, beim Kleiderwechsel, beim Waschen, Medikamentenreichen, beim Essen u.a. Häufig übernehmen sie auch Verantwortung für jüngere Geschwister. Das derzeitige Jugendarbeitsschutzgesetz regelt die Arbeitsbedingungen der jungen Pflegenden von Angehörigen nicht. Da die Unterstützungsleistungen regelmäßig sind und das eigene Kinderwohl möglicherweise folgenschwer eingeschränkt wird, sollte der Bundesgesetzgeber die Lebenslage von pflegenden Kindern in einem klaren gesetzlichen Rahmen regeln.

Hier die Stimme einer Pflegenden: Anna, 11 Jahre „Seit ich neun bin unterstütze ich meine psychisch kranke Mutter. Ich putze, koche täglich und helfe im Haushalt. Das mache ich gerne, weil ich meine kranke Mama liebe. Ich habe Angst von ihr getrennt zu werden, deshalb halte ich es geheim. Es gibt gute und schlechte Tage, aber die guten Tage sind auch nicht wirklich schön. Ich habe nur selten Zeit für Freunde, Hobbies, einfach nur Kind zu sein.“ Quelle Seite 29 im Kinderarbeitsreport 2024 als auch auf der Webseite der young-carers.de

Das zweite Arbeitsfeld der Studie befasst sich mit dem Thema Kinderarbeit bei Familieninfluencer*innen. Familieninfluencer*innen inszenieren aufwändig ihren Familienalltag mit Kindern und posten die Kurzfilme (Reels, Videos, YouTube) in den sozialen Medien. Die eigenen Kinder spielen dabei eine wesentliche Rolle. Influencer*innen mit vielen Followern bekommen mit jeder Reaktion (Like oder Kommentar) Geld von der jeweiligen Plattform. Beiträge von Influencer*innen mit sehr großer Reichweite können über Produktwerbung zwischen 5.000 und 10.000 US-Dollar pro Beitrag verdienen. Die Studie zeigt beispielhaft fünf Familieninfluencer*innen, die über Instagram und YouTube im Dezember 2023 Beiträge mit Kindern gepostet haben.

Die Risiken für die beteiligten Kinder werden aufgezeigt. Ein Interessenkonflikt besteht. Eltern sind sorgeberechtigt und verpflichtet, ihre Kinder zu schützen. Sie treten aber gleichzeitig als die Arbeitgeber*innen ihrer Kinder auf. Das Familieneinkommen ist an die Mitwirkung der Kinder gebunden. Der Vorrang des Kinderwohls sollte bestehen – oft wird aber der Wirtschaftlichkeit vor dem Kindesschutz Vorrang eingeräumt. Aus der frühkindlichen Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass Kleinkinder direkten Blickkontakt zu ihren Eltern benötigen. Familieninfluencer*innen betrachten ihre Babys und Kleinkinder täglich und oft stundenlang durch die Handykamera und konzentrieren sich nicht auf ihr Kind, sondern auf ihre Aufnahmen.

Die Kinder werden zur Schau gestellt und dafür zurecht gemacht. Die Privatsphäre der Kinder wird öffentlich. Die Kinder werden in ihren privaten Räumen gefilmt, im Kinderzimmer, im Bad, in der Kuschelecke usw. und bei all ihren Alltagshandlungen, sowie dabei ein Bezug zur Produktwerbung hergestellt werden kann. Die Kinder werden den Reaktionen im Netz und auch offline der Follower ausgesetzt. Das kann zu Shitstorms, Mobbing, Stalking, Cybergrooming (Anbahnung von Treffen über das Netz) führen und das Kinderwohl extrem gefährden.

Das Jugendarbeitsschutzgesetz regelt die Mitwirkung von Kindern an Musikveranstaltungen, Theateraufführungen, Film- und Rundfunkproduktionen und Werbeaufnahmen. Es gilt: Kinder zwischen drei und sechs Jahren dürfen maximal zwei Stunden zwischen 8.00 und 18.00 Uhr arbeiten. Kinder unter drei Jahren dürfen nicht arbeiten. Die deutsche Gesetzgebung hat die neue Realität der Lebenssituation von Kindern von Familien-Influencer*innen noch nicht berücksichtigt. In Frankreich brauchen Eltern eine behördliche Erlaubnis für die Tätigkeit als Familieninfluencer*in und ein Teil der Einnahmen muss auf einem Treuhandkonto für das Kind hinterlegt werden (Quelle Seite 45 im Kinderarbeitsreport 2024 von Terre des Hommes).

Der Kinderarbeitsreport umfasst auf 67 Seiten eine detaillierte Darstellung der Kinderarbeit in Deutschland und gibt Empfehlungen an die Stakeholder. Positiv hervorzuheben sind die umfassenden Anhänge mit Tabellen zu den Workshops mit den Kindern, dem Arbeitsschutz der Länder, sowie Forschungsmethoden und -tools als auch in Tabellen zusammengefasste Forschungsergebnisse. Link zum Download des „Kinderarbeitsreport 2024“ von Terre des Hommes Deutschland. https://bit.ly/3Rry6xo

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