Mittwoch, 24.04.2024 22:02 Uhr

Dohnanyi: USA tragen erhebliche Mitschuld am Ukraine-Krieg

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman München, 15.06.2022, 08:27 Uhr
Nachricht/Bericht: +++ Politik +++ Bericht 12498x gelesen

München [ENA] Im Interview mit Jörg van Hooven am 01. Juni 2022 äußert sich der Jurist, ehemalige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und erste Bürgermeister von Hamburg Klaus von Dohnanyi u. a. zu den Thesen aus seinem Buch "Nationale Interessen" und plädiert für eine Debatte über die Distanzierung von bestimmten außenpolitischen Interessen der USA, die den Frieden in Europa beeinträchtigen.

Dohnanyi thematisiert im Interview zu seinem Buch bei 'van Hooven' das Problem, dass die US die Absprache zwischen Gorbatschow und Baker darüber, dass die NATO sich nicht nach Osten hin erweitern würde nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes, gebrochen habe und damit berechtigte russische Sicherheitsinteressen verletzt habe. Dies sei aus innenpolitischen Gründen der USA geschehen, führt der ehemalige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1972-1974) und Erste Bürgermeister der Freien Hansestadt Hamburg (1981 bis 1988) weiter aus.

Er erläutert seine These, indem er das Beispiel anführt, dass bereits Clinton Jelzin gegenüber verlautbart habe, er würde die NATO-Osterweiterung vorantreiben müssen, weil er sonst die Wahlen in den USA nicht gewinnen würde. Außerdem zieht der ehemalige Bundesminister beispielhaft die Tatsache heran, dass die USA kurz vor Beginn des Ukraine-Krieges den von Putin eingebrachten Vorschlag, über einen möglichen Beitritt der Ukraine zur NATO zu diskutieren, demütigend, sinngemäß mit der Antwort: „Ihr habt bei dieser Frage nicht mitzureden!“ abgeschmettert haben. „Man muss erkennen, dass wir in einem gefährlichen Maße von US-Innenpolitik abhängig sind“, behauptet von Dohnanyi.

Er erläutert seine Argumentation, indem er den ehemaligen Verteidigungsminister unter Trump anführt, der kürzlich ein Buch publiziert habe, in welchem er aufzeigt, wie sehr innenpolitische Bedingungen in den USA die Außenpolitik bestimmen. Darüber hinaus macht von Dohnanyi klar, dass wenn die USA bei einer Erweiterung des Ukraine-Krieges irgendwann sogar Truppen schicken sollten, dann würde Deutschland zerstört werden, denn man sehe vom Einsatz von Atombomben ab. „Wir sollten offen mit den USA darüber reden, dass die Sicherheitsinteressen der USA nicht die Sicherheitsinteressen Europas sein können“, appelliert von Dohnanyi an die deutsche bzw. europäische Politik.

Dohnanyi führt zur Begründung seiner Analyse einen Artikel an, den der ehemalige US-Botschafter in Moskau Jack Foust Matlock jr., der Prof. für Geschichte der Diplomatie war, verfasst hat. Darin bezeichne Matlock den Krieg in der Ukraine als eine Scharage der US-Innenpolitik. Über Matlocks Standpunkt ist in diesem Zusammenhang noch bekannt, dass er gemeinsam mit 49 weiteren bedeutenden US-Experten aus Politik, Militär, Diplomatie und Wissenschaft zu Fragen der Außenpolitik die Osterweiterung der NATO in einem offenen Brief an Bill Clinton kritisiert hat.

„In Russland wird die NATO-Erweiterung, die weiterhin im gesamten politischen Spektrum abgelehnt wird, die nichtdemokratische Opposition stärken, diejenigen untergraben, die Reformen und die Zusammenarbeit mit dem Westen befürworten, die Russen dazu bringen, die gesamte Regelung nach dem Kalten Krieg in Frage zu stellen, und den Widerstand mobilisieren in der Duma zu den Verträgen START II und III; In Europa wird die NATO-Erweiterung eine neue Trennungslinie zwischen den „Ins“ und den „Outs“ ziehen, Instabilität fördern und letztendlich das Sicherheitsgefühl jener Länder schmälern, die nicht dazugehören“, lautet die Kritik der 50 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes aus 1997.(1)

Auf die Frage, ob von Dohnanyi sich immer noch mit den USA verbunden fühle, antwortet dieser: "Ich bin mit dem Herzen immer eng bei den USA, aber die USA machen eine falsche Politik. Und wenn ein Freund einen Fehler macht, muss man ihm das sagen. Und dieser Fehler, den die USA machen ist gefährlich für Europa und gefährlich für Deutschland. Und darüber muss man jetzt reden. Man muss unter Freunden eine offene Sprache haben. Wenn man eine Wertegemeinschaft ist, die ja was anderes ist als nationale Interessen, dann muss man innerhalb dieser Wertegemeinschaft die unterschiedlichen Interessen erkennen, sie aussprechen und das Problem klären". Die USA würden völlig andere Interessen in Europa haben als wir, darüber werde leider nicht gesprochen.

„Ich bin nur der Meinung – und das kann man beweisen – dass natürlich Sanktionen anstelle von Verhandlungen in der Frage der Ukraine und der Frage der Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO nicht sinnvoll waren. Biden hat am Ende der NATO-Gipfelkonferenz im März dieses Jahres gesagt, er habe Sanktionen angedroht. Daraufhin habe eine CBS-Journalistin gesagt: 'Aber Sie wissen doch, Herr Präsident, dass die Sanktionen nicht gewirkt haben.' Daraufhin hat er gesagt: 'Sanktionen wirken nie!' Im Sinne von: Sanktionen schrecken niemals ab“, kommentiert von Dohnanyi die aktuellen Entwicklungen.

"Also er wusste, dass er ein zur Verhinderung des Krieges völlig untaugliches Mittel benutzte, anstatt zu verhandeln. Das finde ich eine große Sünde und ich schreibe damit auch den USA einen erheblichen Anteil daran zu, dass wir heute in dem Kriegszustand sind. Ich bin fest davon überzeugt, man hätte es über Verhandlungen über die Ukraine verhindern können“, setzt von Dohnanyi seine Kritik fort. Klaus von Dohnanyi ist über seine Mutter mit Dietrich Bonhoeffer verwandt, der dem Nazi-Widerstand angehörte. Der Vater von Klaus von Dohnanyi, Hans von Dohnanyi, pflegte Kontakte zu Kreisen des NS-Widerstands. Die Eltern wurden am gleichen Tag verhaftet wie Dietrich Bohnhoeffer. Der Vater wurde im KZ-Sachsenhausen ermordet.(2)

Nachdem von Dohnanyi darauf hinweist, dass führende europäische Vertreter für Sicherheitsfragen entschieden haben, die Ukraine nicht in die NATO aufzunehmen, weil dies die Kriegsgefahr mit Russland erhöht, wirft er den USA vor, es dennoch tun zu wollen. Das verdanke man diesem Establischment in Waschington, "von dem ich gesagt habe: Für die der Kampf gegen Russland das Abendgebet ist, das wir dann am nächsten Tag noch einmal nachbeten. In erster Linie steckt dahinter eine seit 150 Jahren bestehende Auffassung in den USA, Russland sei das 'Evil Empire' und man müsste es zurückdrängen und bekämpfen. Und diese Auffassung ist wiederum auch verwandt mit der britischen Tradition, Russland als einen gefährlichen Feind zu betrachten", so Dohnanyi.

Link zum Interview mit "VANHOOVEN": https://www.muenchen.tv/mediathek/video/van-hooven-klaus-von-dohnanyi/, https://www.youtube.com/watch?v=bpjUfnoiZKU

Klaus von Dohnany: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche. Siedler Verlag. München: 2022. https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Nationale-Interessen/Klaus-von-Dohnanyi/Siedler/e597398.rhd

(1) https://web.archive.org/web/20070926231723/http://www.armscontrol.org/act/1997_06-07/natolet.asp, (2) https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_von_Dohnanyi

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von European-News-Agency können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.
Zurück zur Übersicht
Info.