Medientage 2025: What the fu* ture?!
München [ENA] Schon das Motto hatte es in sich: "WTFuture?!" Sollte das heißen: was zum Teufel mit der Zukunft! Oder: was für eine Zukunft? Daß die Medienzukunft alles andere als klar ist, wissen die meisten Akteure. Technische Innovationen, ökonomische Zwänge und gesellschaftliche Verwerfungen pflügen alles um.
Auf dem eröffnenden Medientage-Gipfel kamen die Angriffe von außen und die Kämpfe im Innern zusammen, die Aktivitäten der amerikanischen Digitalfirmen und der Kulturkampf, der hierzulande schon seit Jahren den medialen Diskurs vergiftet. Ersteres macht den Mangel an digitaler Souveränität in Europa spürbar, der sich ebenfalls seit Jahren durch Versäumnisse aufgebaut hat und den auch Ministerpräsident Söder beklagte. Man dürfe aber nicht glauben, die Folgen des amerikanischen Digitalkolonialismus durch Regulierung aus der Welt schaffen und dabei auf moralische Prinzipien pochen zu können. "In Moral einsam sterben" ist keine sinnvolle Strategie.
Die Regulationsgeschwindigkeit im föderalen deutschen Rundfunksystem wie auch in der EU sei entschieden zu langsam im Vergleich zum Entscheidungs- und Veränderungstempo in den faktenschaffenden Konzernen. Daß innenpolitisch eine mediale Entfremdung unübersehbar sei, betonte zunächst BLM-Präsident Schmiege und führte dann der prominente Medienkritiker Oliver Kalkofe pointiert fort. Schon 1973 habe sich der Kulturkampf gezeigt, als im Fernsehen Schweinchen-Dick-Trickfilme wegen Gewalt und Schadenfreude abgesetzt wurden. Dabei sei gewissermaßen "vorauseilende Furcht" bestimmend gewesen. Verglichen mit der heutigen Cancel-culture, der ja u.a. ganze Kinderbücher und Lehrstuhlinhaber zum Opfer fallen, mag dieser Fall harmlos wirken.
Heute aber zu behaupten, nicht in kulturkämpferischen Kategorien argumentieren zu wollen, und trotzdem nicht neutral zu bleiben, wie dies Jagoda Marinić in ihrer Positionsbestimmung tat, dürfte freilich keine Lösung sein. Daß sich Söder noch immer dafür rechtfertigen sollte, einem nicht-"woken" Nachrichtenportal ein Interview gegeben zu haben, macht deutlich, welche Aggressionsrichtung diesen Kulturkampf vorantreibt.
Zufällig fiel während der Medientage auch ein anderer Übergriff vor, der die weltanschauliche Grundierung dieser Cancel-culture unmißverständlich vor Augen führte, die Hausdurchsuchung - oder sollte man sagen: Hausbesuch? - beim Philosophen Norbert Bolz in Berlin wegen eines entweder aus Dummheit oder Absicht mißverstandenen Kommentars zu einem taz-Artikel. Wegen eines derartigen Meinungsklimas und einer entsprechend geistlosen Justiz ist vor zweihundert Jahren H. Heine aus Deutschland ausgewandert.
Auch Florian Hager, ARD-Vorsitzender und HR-Intendant, zeigte sich mit seinen Behauptungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei nicht linksgeneigt, sondern biete die erforderliche Meinungsvielfalt, nicht auf der Höhe der Zeit, nicht nur weil gerade ein Prozeß wegen mangelnder Ausgewogenheit anhängig ist. In den von Magnus Gebauer, Medien-Netzwerk Bayern, am Nachmittag vorgestellten statistischen Erhebungen war u.a. ablesbar, daß das Medienvertrauen hierzulande zwischen 2021 und 2025 von 52 auf 44% gesunken ist.
Fast die Hälfte der Befragten hat das Gefühl, die eigene Meinung zu bestimmten Themen nicht frei äußern zu können. Die Nachrichtenvermeidung stieg in den letzten zehn Jahren von 49 auf 71% - warum wohl? In Richtung der Berichterstatter geschaut, zeigte sich, daß weit mehr als die Hälfte der Journalisten eine links-grüne "Parteineigung" haben. In Richtung auf die Medien gefragt, ergab sich etwa beim Thema Klimawandel, daß ungefähr 43% der Mediennutzer die Berichterstattung als einseitig empfanden.
In der Diskussion "Machen Medien schlau?" berichtete Ulrich Walter, Professor an der TU München, Astronaut und Moderator einer Wissenschaftsserie im Fernsehen, vom vergeblichen Versuch, ein Hamburger Nachrichtenmagazin für einen wichtigen, aber systematisch ignorierten Sachverhalt in der Klimadebatte zu interessieren. Eine Berichterstattung wurde mit der Begründung abgelehnt, man wolle nicht den "Druck vom Kessel nehmen". Die Antwort auf die Titelfrage der Diskussion wird also lauten: nein, diese Medien machen dumm.
Auffindbarkeit - 1
Den Anbietern nichtlinearer Bewegtbildinhalte, seien es Streaminganbieter oder Mediathekenbetreiber, fällt allmählich ein Problem vor die Füße, das sie durch ihre Empfehlungsmanie selbst verursachen. Es geht, neudeutsch formuliert, um "Usability" und "Content Discovery", strategisch aus Sicht der Anbieter formuliert, um "Suchen, Finden, Bleiben". In der Diskussionsrunde dieses Titels dachten die Protagonisten, kommerzielle wie öffentlich-rechtliche, wenig selbstkritisch über dieses Problem nach. Als Anwalt der naturgemäß unorganisierten Nutzer hätte man vielleicht jemanden der Verbraucherzentralen oder gar eines "Usability"-Labors hinzunehmen können.
Lisa Jäger von Simon-Kucher zitierte aus einer Umfrage, wonach der Nutzer eines Streaminganbieters durchschnittlich 10 min. mit der Wahl eines Inhalts verbraucht. Außerdem empfinden Kunden das Angebot bisweilen als unüberschaubar groß, so daß eine "Navigation Fatigue" eintritt, wie das ebenfalls neudeutsch heißt. Erschwerend kommt dazu, daß die Qualität der Navigation, also die Auffindbarkeit der Inhalte, erst nach Abschluß des Abonnements, also nach Eintritt in den Dienst, sichtbar und erfahrbar wird. Angesichts dessen, daß es sich bei der Wahl eines Filmtitels um nichts anderes als eine Datenbankrecherche handelt, ist das dafür angebotene Suchformular in der Regel ungeeignet.
Der Nutzer bekommt unzulängliche Metainformationen in einer unwegsamen Topologie vorgesetzt und wird von vornherein als dumm, d.h. ahnungslos vorausgesetzt, so daß man ihn mit einem nicht enden wollenden Mosaik bunter Bildchen überschwemmen zu müssen glaubt. Die ARD-ZDF-Mediatheken sind keineswegs besser organisiert, auch wenn, wie Natalie Müller-Elmau vom ZDF erwähnte, die Empfehlungsalgorithmen irgendwo veröffentlicht sind. Das ändert ja an der deformierenden Empfehlungsarchitektur nichts.
Die Abwesenheit (oder Unsichtbarkeit) der objektiven Kriterien alphabetischer Titel, Datum, Dauer und Kategorie wird längerfristig zur Abwesenheit zumindest jener Nutzer führen, die einen gewünschten Titel allenfalls noch über eine externe Suchmaschine suchen werden. Die vermeintliche Abhilfe der Branche gegen die Unzufriedenheit der Nutzer ist nur: Öl ins Feuer gießen. Mit KI sollen künftig Trailer "personalisiert" werden, so Marco Hellberg, CANAL+. Oder, wie Josephine Kittner, RTL+, es formulierte: die Kuratierung solle "smart" werden und die Seherfahrungen des jeweiligen Nutzerprofils berücksichtigen. Ziel ist dabei weiterhin sein "Bleiben", d.h. die Erzeugung eines Suchtfaktors, also gerade nicht die selbstbestimmte Wahl des Nutzers.
Auffindbarkeit - 2
Sichtbarkeit und Auffindbarkeit wird auch an anderer Stelle zum Problem, nämlich bei der Disruption der Nachfragebeziehung zwischen einem Informationsbedürftigen und einem Informationsbesitzer. Disruption ist hier ganz wörtlich zu nehmen, die Beziehung zerreißt, wird durchtrennt - durch die KI. Schmerzhaft geworden ist dieser Vorgang, seit unser aller Suchmaschine Google seit dem Frühjahr mit den KI-gestützten Overviews bei vielen Fragen den Gang zum Informationslieferanten erübrigt und für weitergehende Recherche ausgerechnet auch noch die eigene KI Gemini bereitlegt.
Damit fällt ein erheblicher Teil des Besucherstroms und demzufolge der werbefinanzierten Bereitstellung der Inhalte weg. Das Ausmaß des Verlustes läßt sich vorerst noch nicht genau beziffern und ist gewiß für jedes Info-Portal anders, doch ist unbestritten, daß hier ein Paradigmenwechsel stattfindet, der sich mit wachsender Intelligenz der Künstlichen Intelligenz verfestigen wird. Oder wie es Ralf Müller-Terpitz, Professor an der Universität Mannheim, in seiner Philippika mit einer Anspielung an Heine ausdrückte: "Denk ich an KI in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht."
Einem Juristen, dessen Fach ja die Verwaltung kodifizierter Sachverhalte und Besitzstände zur Aufgabe hat, wird man dies nachsehen. Daß er hier eine Erosion des Rechts bemerkt und sich im "Wilden Westen" wähnt, versteht sich, und daß sich die hiesige Branche für eine Digital-Steuer für die amerikanischen Kolonialherren oder eine "KI-Gema" stark macht, liegt ebenso nahe. Man glaubt, damit den disruptiven Impuls der KI, also einer Technik, die man selbst nicht entwickelt hat oder entwickeln wollte, einfangen zu können.
Dr. Florian Herrmann, u.a. Bayerischer Staatsminister für Medien, versuchte dagegen, in der Tradition der liberalen bayerischen Politik die Angelegenheit pragmatisch und strategisch zu analysieren. Er sah hier einen recht gewöhnlichen Streit um Besitzstandsinteressen am Werke. Dabei geht es letztlich um die Länge des längeren Hebels. Wie erinnerlich gehören solche Revierkämpfe stets zu Medieninnovationen. Der Streit um den Suchmaschinenzugriff, den die Inhalteanbieter jetzt als stabile Vereinbarung verteidigen wollen, ist noch nicht lange her.
Damals wurden Googles "Snippets" kritisiert. Gleichwohl richtete sich die Branche mittels einer Suchmaschinenoptimierungsindustrie auf die beargwöhnte Sichtbarkeit in der Suchmaschine ein. Noch früher gab es die Kämpfe der Verleger gegen die Nachrichteninhalte im Videotext. Wenn jetzt BR-Intendantin Dr. Katja Wildermuth mangelnde Transparenz der KI-Inhalte beklagt und das neue, fremde Informationsmonopol zum gemeinsamen Feind erklärt, mit dem man auch keine Geschäfte machen solle, kann man ihr gerne beipflichten, doch wird dies die Disruption nicht aus der Welt schaffen, selbst wenn es gelänge, die EU zu signifikanten Gegenmaßnahmen zu veranlassen.
Die Topologie des Kampfes steht ja bereits fest. Große Inhalteanbieter schließen Separatfrieden, d.h. lassen sich die Nutzung ihrer Inhalte als Trainings- und Ergebnisdateien der KI bezahlen und realisieren damit den für sie erreichbaren Kompromiß. Eine rigoros uniforme Front wird es nicht geben, und aus Sicht der KI-Herren bewährt sich erneut der altrömische Grundsatz "divide et impera". Das selbe Thema wurde vom Medien-Netzwerk Bayern in der Diskussion Future of Search mit ähnlicher Besetzung aufgegriffen, Sender und Verlage, dazu aber Jens Redmer vom Hauptbeschuldigten Google.
Auch hier die bekannten Klagen, einschließlich der gerichtlich anhängigen Klage des VAUNET-Verbandes bei der Bundesnetzagentur und der düsteren Befürchtung einer "Zero-click-Future". Auch hier die Differenzierung der Antworten auf die Herausforderung. Uli Köppen, BR, beklagte weiterhin (und natürlich zurecht) die mangelnde Transparenz der KI-Antwortmaschine. Eric Kubitz, Wort & Bild Verlag, der u.a. die höchst erfolgreiche Apothenumschau herausgibt, hingegen hatte die Suchmaschinenverluste sozusagen bereits eingepreist und sah gemeinsame Interessen mit Google.
Seine Branchenkollegen vermutete er oft noch auf einem etwas zu hohen journalistischen Roß sitzend, plädierte also für mehr Realismus in der Diskussion. Redmer gab zu bedenken, daß auch für Google der architektonische Umbruch keine Kleinigkeit sei, da er ja das bisherige Werbemodell tangiere. Auf jeden Fall werde sich die Wertschöpfungskette und müßten sich die Werbeagenturen ändern.




















































