Freitag, 19.04.2024 00:25 Uhr

'Freiheit' - Nachtgespräche mit E. Drewermann

Verantwortlicher Autor: Sergej Perelman Berlin/Paderborn, 15.08.2022, 15:07 Uhr
Nachricht/Bericht: +++ Special interest +++ Bericht 5849x gelesen
Lerche am Himmel. Sinnbild der Freiheit.
Lerche am Himmel. Sinnbild der Freiheit.  Bild: Cock-Robin/https://pixabay.com

Berlin/Paderborn [ENA] In der Radio-Sendung 'Berliner Nachtgespräche' vom 27. Okt. 1998 sprach der Pfarrer Michael Longard mit dem Theologen und Psychotherapeuten Eugen Drewermann über das Thema Freiheit. Im Folgenden wird daraus eine Auswahl von Drewermann-Kommentaren zum Nachsinnen und Vertiefen präsentiert.

"[…] ein Ringen um eine neue Form von Menschlichkeit. Bedroht ist sie allemal und am meisten durch die Angst, die wir alle, jeder für sich, haben – Verantwortung zu tragen, persönlich zu sein, individuell zu existieren. Frei zu sein bedeutet, dass man mit seinem Leben in gewissem Sinne ausgesetzt ist wie kein Tier auf Erden es je empfinden wird. Und deshalb suchen wir nach dem Vorbild der Tiere Zuflucht in der Herde, im Massendasein. Dann rufen wir nach der Autorität, die uns bei der Hand nimmt wie kleine Kinder, dass ein großer Vater kommt und zeigt uns den Weg durch die dunkle Nacht. Man sagt in Frankreich: Es ist das Mittelmaß, das die Autorität begründet."

"Je schwächer Menschen sind, desto sicherer möchten sie wie die Kletterpflanzen sich anranken an einer starken Persönlichkeit, die sie führt; und die wieder regeneriert sich in ihrem Machterhalt aus der Angst, die sie verbreitet. Man kann jeder Diktatur ob in Politik, ob in Kirche, ob Gesellschaft diesen Vorwurf machen: Sie beutet die Angst der Menschen vor sich selber, vor der unheimlichen Gabe, die unentrinnbar auf ihren Schultern liegt und in ihrem Herzen wohnt, vor ihrer Freiheit zum Zweck von Außenlenkung und Machtgewinn aus."

"Natürlich gibt es viele andere Formen. Wann halten wir es aus in Nachdenklichkeit, in der Schärfe unserer Sinneswahrnehmungen und Gedanken wirklich zu leben? Es scheint wie wenn unser Nervensystem chronisch überfordert wäre damit, nicht nur dass wir 7-8 Stunden Schlaf brauchen. Wir betäuben selbst den Rest, der uns noch bleibt, – die restlichen 16 Stunden in einem unglaublichen Quantum; eigentlich nur, um uns ein Stück Menschlichkeit, den funkelnden Verstand, die Helligkeit unserer Augen in irgendeiner Weise zu umdüstern und zu vernebeln."

"Das Furchtbare ist, dass Menschen geneigt sind, unter Umständen Verantwortung bestimmen und definieren zu lassen durch Andere. Sie möchten nichts falsch machen, sie möchten im Gegenteil alles ganz richtig machen und dann flüchten sie sich in die Gesetze, dann möchten sie ganz pünktlich, ganz prompt, fleißig und akkurat ihren Dienst tun und sind nichts weiter mehr als gute Beamte, als Funktionäre im Apparat, als Räder in der Maschinerie. Dann ist die Flucht vor sich selber die Grundlage am Ende, beim Willen alles richtig zu machen, im Grunde alles falsch gemacht zu haben."

"Ein Mensch, der nicht selber lebt, ist in der ganz großen Gefahr, dass er auch andere nicht leben lässt und dass er missbrauchbar ist für jegliches Programm. Das Geheimnis der Massenkultur oder -unkultur im sogenannten 3. Reich bestand ja darin, dass man Menschen unter Eid zu Gehorsam verpflichten konnte und dann liefen sie zu Millionen in Reih und Glied nach demselben Diktat, nach demselben Befehl. Man war wer. Man fühlte sich stark im großen Haufen. Und es war die große Sehnsucht, sich aufzulösen im Kollektiv. Das ist eine der unheimlichen der Gegenmöglichkeiten des Menschen. Und ich denke wir pendeln immer wieder zwischen diesen beiden Polen."

"Mir scheint, die Religion hat ganz recht. Wenn Personsein und Freisein ein aund dasselbe sind im Grunde und beide eine solche Angst machen, dann erträgt man die Freiheit nur im Gegenüber einer anderen Person, die mit ihrer Freiheit Ja sagt zu uns selber. Das ist im Grunde, was man Liebe nennt. Es gibt keinerlei Zwang mehr, aber es gibt ein ganz großes Gesprür für die Kostbarkeit der Freiheit eines Anderen und man möchte, dass sie sich entfaltet, weil man findet sie wunderschön;"

"in dieser einen Person, im Gegenüber – das macht der Seele Flügel, da wird man selber als Individuum gemeint und stark und wächst auf zu sich selber. Freiheit, vor allem die Angst vor der Freiheit, lässt sich nur leben im Grunde in einem Raum der Liebe, wo in Freiheit zugleich Geborgenheit ist. Es ist das genaue Gegenstück zur Zwangsverordnung der Diktatur."

"Die Geschichte selber ist eine Legende 'Von der Versuchung Jesu durch den Teufel'. Aber man stellt sich vor, dass Jesus ganz bewusst drei Möglichkeiten zu vermeiden gesucht hat, die so nahe liegen, wenn man sich fragt: Wie kann man den Menschen glücklich machen? Man kann ihn glücklich machen, z.B. indem man eine Wirtschaft aufbaut, die ihn wohl versorgt sein lässt wie ein gutes Haustier. Er leidet keine Lebensnotdurft mehr, er bekommt alles, was er braucht. Alleine diesem Gedanken gegenüber opfern wir fast global unsere Freiheit, indem wir uns ausliefern den vermeintlichen Zwangsstrukturen der Wirtschaft."

"Wie viel geschieht in Zerstörung der Freiheit, weil man uns erklärt: Das ist notwendig für das Wachstum der Wirtschaft. Dann ist gewissermaßen alles möglich: Die Verelendung so vieler Länder in der 3. Welt, so viel an Zerstörung in der Natur und vor allem die Verwandlung von Millionen, Hunderten von Millionen Menschen in Arbeitssklaven der Märkte, im Ausbeuten der Menschen auf dem Arbeitsmarkt usw. Diese Versuchung - wir haben am Ende eine perfekt versorgte Gesellschaft – macht im Grunde die Menschen tot und zerstört sie in dem Kostbarsten."

"Das nächste in der Geschichte, dass die Politik gesucht wird als Ort die Menschen zu beglücken. Wenn es jemanden gäbe, der Weisheit und Macht in seinen Händen hielte, die Friedenspalme und das Schwert, dann vielleicht, wenn Weltherrschaft wäre durch jemanden, der sie zu handhaben wüsste, wäre die Erde wie ein Paradies. Kaiser Augustus in den Tagen Jesu hat es versucht. Und schauen wir richtig hin, versuchen wir immer noch denselben Traum der Befriedung der Menschheit durch ein Einheitsreich, durch ein riesen Imperium zentralistischer Verwaltung."

"Jesus sagt zu alldem Nein!, weil es ein Nein! ist zur Freiheit der Menschen. Friedfertig können nur Menschen sein, die sich selber gefunden haben, nicht die Addition von Nullen, die aufgehört haben wirklich zu existieren. Und schließlich, dass man sogar Gott und die Religion verwandelt in einen magischen Zauber, der die Menschen in den Bann schlägt und sie bis in ihr Herz hinein von außen sie zu dirigieren unternimmt. […] Was Dostojewski da [in der 'Erzählung vom Großinquisitor' im Roman 'Brüder Karamasovy'] meint in der Gestalt der römischen Kirche ist, dass man Geld und Macht zusammennimmt und nennt beides zugleich Gott."

"Die Wirtschaft, die Politik und die Kirche – diese drei Institutionen fesseln den Menschen. Und immer wenn er sich schwach fühlt, wenn er Angst hat vor seinem eigenen Leben, wird er dieselbe Versuchung des Christus in der Wüste erleiden – er wird Unterschlupf suchen, da wo im Grunde nur die unsichtbaren Hände dessen, den Jesus seinen Vater nannte, uns beschützen könnten, und die Liebe, die wir finden auf Erden, wenn wir uns sichern in einem solchen Vertrauen." Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=jJrGXxVL5d4

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von European-News-Agency können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.
Zurück zur Übersicht
Info.